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Grabesstille

Grabesstille

Titel: Grabesstille Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tess Gerritsen
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die in Todesangst vorbeieilen, für immer auf der Flucht vor den Kugeln, die in jener Nacht flogen!« Billy drehte sich um und schwenkte einen Arm. »Und nun folgen Sie mir über die Beach Street. Zu einem weiteren Ort, an dem Geister hausen.«
    »Mami. Mami! «
    Billy ignorierte die kleine Nervensäge und führte die Gruppe über die Straße. Immer schön lächeln, immer schön weiterreden. Denk an das Trinkgeld! Nur noch eine Stunde musste er sich zusammenreißen. Zuerst würden sie zur Knapp Street gehen, der nächsten Station der Führung. Dann weiter zur Tyler Street und dem Spielsalon, wo 1991 bei einem Massaker fünf Männer ums Leben gekommen waren. In Chinatown gab es keinen Mangel an Mordschauplätzen.
    Er führte die Gruppe die Knapp Street entlang. Es war nur eine schmale Gasse, schlecht beleuchtet und wenig befahren. Kaum hatten sie die Lichter und den Verkehr auf der Beach Street hinter sich gelassen, als die Temperatur schlagartig zu fallen schien. Fröstelnd hüllte Billy sich enger in sein Mandarin-Gewand. Er hatte dieses verstörende Phänomen schon früher bemerkt, jedes Mal, wenn er diesen Abschnitt der Knapp Street passierte. Selbst an warmen Sommerabenden fror er hier stets, als ob die Kälte sich vor langer Zeit in dieser Gasse festgesetzt hätte. Seine Gruppe schien es ebenfalls zu bemerken – er hörte, wie die Reißverschlüsse von Jacken hochgezogen, sah, wie Handschuhe aus Taschen geholt wurden. Schweigen legte sich über die Gruppe, und ihre Schritte hallten von den hohen Hauswänden zu beiden Seiten wider. Selbst die zwei Rotzbengel waren still, als ob sie spürten, dass hier die Luft anders war. Dass irgendetwas hier lauerte – etwas, das alles Lachen und Scherzen erstickte.
    Billy blieb vor dem verlassenen Gebäude stehen. Vor dem Eingang war ein verschlossenes Eisentor angebracht, und die Erdgeschossfenster waren mit Gitterstäben gesichert. Eine verrostete Feuertreppe führte bis zum zweiten und dritten Stock empor, wo alle Fenster dicht vernagelt waren, wie um zu verhindern, dass etwas ausbrach, das sich in diesen Räumen verbarg. Die Gruppe drängte sich dichter zusammen, als wollten sie der Kälte entfliehen. Oder war es etwas anderes, das sie in dieser engen Häuserschlucht spürten, etwas, das sie zu einem engen Kreis zusammenrücken ließ, als suchten sie Schutz vor einer unbekannten Gefahr?
    »Willkommen am Schauplatz eines der grausigsten Verbrechen, die sich je in Chinatown ereignet haben«, sagte Billy. »Das Schild an dem Gebäude ist längst nicht mehr vorhanden, aber vor neunzehn Jahren befand sich hinter diesen vergitterten Fenstern ein kleines chinesisches Fischrestaurant, das Red Phoenix. Es war ein bescheidenes Lokal mit nur acht Tischen, aber bekannt für seine frischen Meeresfrüchte. Es war zu später Stunde am dreißigsten März, ein feuchter und kühler Abend. Ein Abend wie dieser, an dem die sonst so belebten Straßen von Chinatown merkwürdig still waren. Im Red Phoenix waren nur zwei Angestellte bei der Arbeit: der Kellner, Jimmy Fang, und der Koch, ein illegaler Einwanderer aus China namens Wu Weimin. Drei Gäste kamen an diesem Abend zum Essen – und es sollte ihr letzter Abend werden. Denn in der Küche bahnte sich eine Katastrophe an. Wir werden nie erfahren, warum der Koch die Nerven verlor und ausrastete. Vielleicht waren es die langen, anstrengenden Arbeitstage. Oder der Kummer, als Fremder in einem fernen Land leben zu müssen.«
    Billy machte eine Pause und senkte dann die Stimme zu einem schaurigen Flüstern. »Oder vielleicht war es eine fremde, unbekannte Macht, die von ihm Besitz ergriff, ein Dämon, von dem er besessen war. Ein böser Geist, der ihn zur Waffe greifen ließ. Der ihn in das Lokal stürmen ließ. Ein böser Geist, der immer noch hier in dieser dunklen Straße lauert. Wir wissen nur, dass der Koch seine Waffe anlegte und …«
    Billy brach ab.
    »Und was?«, fragte eine ängstliche Stimme nach.
    Doch Billy war abgelenkt, sein Blick ging zum Dach hinauf – er hätte schwören können, dass sich dort soeben etwas bewegt hatte. Nur ein dunkler Schemen vor dem Hintergrund des dunklen Himmels, wie die Schwingen eines riesigen Vogels. Er spähte angestrengt nach oben, um einen weiteren Blick zu erhaschen, doch jetzt konnte er nur noch die Umrisse der Feuertreppe dicht an der Hauswand ausmachen.
    »Und was ist dann passiert?«, wollte einer der Rotzbengel wissen.
    Billy sah in die dreizehn Gesichter, die ihn erwartungsvoll anstarrten,

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