Grabesstille
Schlafzimmer. Als sie das, was sie suchte, nirgends finden konnte, rief sie Frost an.
»Habt ihr irgendwo im Haus einen Angelkasten gefunden?«, fragte sie.
»Äh, nein. Kann mich nicht erinnern, einen gesehen zu haben.«
»Wer fährt denn ohne Angelkasten zum Angeln?«
»Vielleicht hat er alles dort in dem Camp gemietet, wo er auch gewohnt hat.«
»Hast du mit dem Geschäftsführer da oben gesprochen?«
»Schon. Aber nach dem Angelzeug habe ich ihn nicht gefragt.«
»Ich ruf ihn an.«
»Wieso?«
»Kommt mir einfach merkwürdig vor, das ist alles.« Sie legte auf und nahm das Blatt mit Ingersolls Verbindungsdaten aus der Mappe. Sie überflog die Nummern, bis sie eine mit der Vorwahl 207 gefunden hatte. Ingersoll hatte von seinem Festnetzanschluss aus angerufen.
Sie wählte die Nummer. Es läutete fünfmal, dann meldete sich eine männliche Stimme mit einem knappen »Loon Point«.
»Hier Detective Rizzoli vom Boston PD . Dürfte ich fragen, mit wem ich spreche?«
»Joe. Haben Sie etwa noch eine Frage?«
»Wie bitte?«
»Na, gestern hat schon mal jemand vom Boston PD angerufen. Mein Sohn Will war dran.«
»Das muss Detective Frost gewesen sein. Wo ist Loon Point eigentlich genau?«
»Wir sind direkt am Moosehead Lake. Haben ein Dutzend nette Ferienhäuschen hier oben.«
»Sie hatten kürzlich einen Gast namens Ingersoll.«
»Ja, Will hat schon gesagt, dass Ihre Kollegen nach ihm gefragt haben. Meine Frau hat ihn damals eingecheckt, aber sie ist heute nicht da. Ich kann Ihnen nicht mehr sagen, als dass er fünf Tage geblieben ist und dass wir kaum was von ihm gesehen haben.« Er brach ab, um seinem Sohn zuzurufen: »Will, hilfst du vielleicht mal den Leuten da, ihre Sachen aus dem Boot zu laden? Sie haben schon am Anleger festgemacht!« Dann wandte er sich wieder Jane zu: »Tut mir leid, Ma’am. Hier geht’s gerade ziemlich zu. Ich würde Ihnen ja wirklich gern helfen, aber viel mehr kann ich Ihnen nicht sagen. Hat uns sehr leidgetan, als wir gehört haben, dass er tot ist.«
»War das Mr. Ingersolls erster Aufenthalt in Loon Point?«
»Kann mich nicht erinnern, ihn schon mal hier gesehen zu haben.«
»Seit wann arbeiten Sie dort?«
»Von Anfang an. Der Laden gehört mir. Hören Sie, ich muss jetzt los und meinen Gästen zur Hand gehen.«
»Eine letzte Frage noch. Hat Mr. Ingersoll eine Angelausrüstung gemietet, als er bei Ihnen war?«
»Ja, hat er. Will hat ihm geholfen, eine Rute und eine Rolle auszusuchen. Aber viel gefangen hat er, glaube ich, nicht.«
Janes Blick ging zu ihrem klingelnden Handy. »Vielen Dank, Mr. …«
»Patten. Wenn Sie noch Fragen haben, rufen Sie einfach noch mal an.«
Sie legte ihr Bürotelefon auf, griff nach dem Handy und sah, dass der Anruf aus dem Labor kam. »Rizzoli.«
Am anderen Ende meldete sich Erin Volchko, die Kriminaltechnikerin. »Ich habe ja im Lauf der Zeit schon die erstaunlichsten Dinge gesehen, aber das da ist wirklich der Hammer.«
»Worum geht es?«
»Um dieses Metallfragment, das die Rechtsmedizin uns geschickt hat. Es steckte in der Halswirbelsäule der unbekannten Toten vom Dach.«
»Genau. Ein Splitter von der Klinge.«
»Und es ist anders als jedes Metall, das mir je untergekommen ist.«
27
Als Jane das Labor betrat, warteten Frost und Tam bereits auf sie. Bei ihnen war ein Mann, den sie noch nie gesehen hatte – ein freundlicher, dunkelhäutiger Herr, den Erin als Dr. Calvin Napoleon Cherry vom Arthur M. Sackler Museum der Harvard-Universität vorstellte.
»Als mir klar wurde, worum es sich bei diesem Metall handeln könnte, bat ich Dr. Cherry, einen Blick darauf zu werfen«, sagte Erin. »Wenn irgendjemand die Antwort weiß, dann er.«
Dr. Cherry reagierte mit einem verlegenen Lachen. »Nun übertreiben Sie mal nicht.«
»Nun ja, Ihr Name taucht in jedem zweiten Artikel auf, der zu diesem Thema veröffentlicht wird. Ich wüsste keinen besseren Experten, an den man sich um Rat wenden könnte.«
»Was ist Ihre Aufgabe im Sackler Museum, Dr. Cherry?«, fragte Jane.
Er hob bescheiden die Schultern. »Ich bin Kurator der dortigen Waffensammlung. Ich habe meine Doktorarbeit über die metallurgische Analyse von Klingen geschrieben, und zwar speziell über chinesische und japanische. Beide sind eng miteinander verwandt, wenn auch die handwerklichen Traditionen sich bereits vor Jahrhunderten auseinanderentwickelt haben.«
»Sie glauben also, dass diese Klinge in Asien hergestellt wurde?«
»Da bin ich mir fast sicher.«
»Und das
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