Grabesstille
angewurzelt da, jäh aus ihren Kampfübungen gerissen. Nur Bella wird sofort aktiv; sie schiebt sich an den Schülern vorbei und baut sich neben mir auf – meine grimmige, zu allem entschlossene Beschützerin, mit ihren gerade einmal eins zweiundsechzig, inklusive der schwarzen Stachelfrisur. Doch ich bin nicht überrascht, die Besucher zu sehen, und gebe Bella mit einem Blick zu verstehen: Zieh dich zurück. Lass mich das machen.
Sie nickt fast unmerklich, bleibt aber unbeirrt an meiner Seite stehen.
Detective Rizzoli übernimmt die Initiative. Natürlich tut sie das – sie trägt ihre Autorität mit sich herum wie eine Rüstung. »Wir haben Grund zu der Annahme, dass Sie im Besitz eines antiken Schwerts sind, Mrs. Fang«, sagt sie. »Und wir fordern Sie auf, es uns auf der Stelle zu übergeben.«
Ich sehe Detective Frost an. Es ist ein kalter, anklagender Blick, und er schlägt beschämt die Augen nieder. An dem Abend, als wir zusammen essen gingen, an jenem Abend, als eine Freundschaft zwischen uns zu knospen schien, ließ ich ihn Zheng Yi halten, und ich vertraute ihm die Geschichte des Säbels an. An jenem Abend sah ich Güte und Freundlichkeit in seiner Miene. Nun aber verzieht sich dieses Gesicht zu einer Maske, die keine Andeutung unserer früheren Verbundenheit zulässt. Es ist offensichtlich, dass er in erster Linie Polizist ist, und das erstickt jede Möglichkeit einer Freundschaft zwischen uns im Keim.
»Für den Fall, dass Sie uns die Waffe nicht freiwillig aushändigen wollen«, sagt Detective Rizzoli, »haben wir auch einen Durchsuchungsbeschluss.«
»Und wenn ich Ihnen meinen Säbel gebe, was werden Sie damit anstellen?«, frage ich.
»Ihn untersuchen.«
»Warum?«
»Um zu klären, ob damit ein Verbrechen begangen wurde.«
»Werde ich ihn unversehrt wiederbekommen?«
»Mrs. Fang, wir sind nicht gekommen, um mit Ihnen zu verhandeln. Wo ist der Säbel?«
Bella tritt vor, vibrierend vor Zorn wie eine Hochspannungsleitung. »Sie können ihn nicht einfach konfiszieren!«
»Das Gesetz sagt, dass wir es können.«
»Zheng Yi ist seit Generationen im Besitz meiner Familie«, sage ich. »Ich gebe ihn nie aus der Hand.«
Detective Rizzoli sieht mich verwirrt an. »Was ist Zheng Yi?«
»Der Name, den der Säbel bekam, als er geschmiedet wurde. Er bedeutet ›Gerechtigkeit‹.«
»Das Ding hat einen Namen?«
»Wieso überrascht Sie das? Haben Sie nicht in der westlichen Kultur eine Legende über ein Schwert namens Excalibur?«
»Madam Fang«, meldet sich der dunkelhäutige Mann mit ruhiger, respektvoller Stimme zu Wort. »Glauben Sie mir, ich möchte nicht, dass der Säbel in irgendeiner Weise beschädigt wird. Ich bin mir seines Wertes bewusst, und ich verspreche, achtsam damit umzugehen.«
»Und warum sollte ich Ihnen glauben?«, frage ich.
»Weil es mein Beruf ist, solche Waffen zu pflegen und zu erhalten. Ich bin Dr. Calvin Cherry vom Arthur M. Sackler Museum, und ich habe schon viele antike Schwerter untersucht. Ich kenne ihre Geschichte. Ich kenne die Schlachten, die sie geschlagen haben.« Er neigt den Kopf, eine Geste der Hochachtung, die mich beeindruckt. »Ich würde mich geehrt fühlen, wenn Sie mir gestatten würden, einen Blick auf Zheng Yi zu werfen«, sagt er leise.
Ich blicke in seine sanften braunen Augen, und ich sehe eine Aufrichtigkeit, die ich nicht erwartet hatte. Dieser Mann spricht den Namen vollkommen akzentfrei aus, was mir verrät, dass er Mandarin beherrscht. Und was noch wichtiger ist: Ihm ist bewusst, dass eine so kostbare Waffe Respekt verdient, um der Kunst des Handwerkers willen, der sie gefertigt hat, und um der Jahrhunderte willen, die sie überdauert hat.
»Kommen Sie mit«, sage ich. »Bella, übernimm bitte den Kurs.«
Ich führe die Besucher ins Hinterzimmer und schließe die Tür. Dann nehme ich einen Schlüssel aus meiner Tasche, öffne den Schrank und hole das in Seide gehüllte Bündel hervor, das dort auf dem Regalbrett liegt. Mit beiden Händen überreiche ich es Dr. Cherry.
Er nimmt es mit einer Verbeugung entgegen und legt es vorsichtig auf meinem Schreibtisch ab. Rizzoli und Frost sehen zu, wie er die Lagen roter Seide zurückschlägt und die Waffe freilegt, die in ihrer Scheide steckt. Er hält einen Moment inne, um Letztere in Augenschein zu nehmen. Sie ist aus lackiertem Holz gefertigt, mit Beschlägen aus Bronze. Auch der Griff besteht aus lackiertem Holz, allerdings mit einem Überzug aus Stachelrochenleder, der sich grünlich
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