Grabesstille
Geschäftszweige.«
Jane nickte. »Tja, das gibt dem Namen Donohues Fleischgroßhandel eine ganz neue Bedeutung.«
»Was ist, wenn er sich die Mädchen auf diese Weise beschafft?«
»Indem er Einserschülerinnen kidnappt?« Jane schüttelte den Kopf. »Scheint mir doch eine ziemlich riskante Methode, um an minderjährige Prostituierte ranzukommen. Das kann man auch einfacher haben.«
»Aber das wäre die Verbindung zwischen allem. Joey Gilmore, den vermissten Mädchen und dem Red Phoenix. Vielleicht war Ingersoll auf die Spur zu Donohue gestoßen, und da bekam er es mit der Angst zu tun. In diesem Moment hörte er auf, seine Telefone zu benutzen. Denn er wusste, wenn Donohue Wind davon bekäme, wäre er ein toter Mann.«
»Ingersoll ist ein toter Mann«, stellte Jane fest. »Was wir nicht wissen, ist, warum er angefangen hat, Fragen zu stellen. Er war schon seit Jahren im Ruhestand – woher dann dieses plötzliche Interesse an vermissten Mädchen?«
»Vielleicht«, erwiderte Tam, »müssen wir die Frage anders stellen: Für wen hat er gearbeitet?«
Jetzt waren es also sechs.
Jane saß an ihrem Schreibtisch und ging noch einmal durch, was sie über die drei neuen Namen auf der Liste wusste. Der erste Vermisstenfall war der von Deborah Schiffer, 13, aus Lowell in Massachusetts. Die Tochter eines Arztes und einer Lehrerin wurde beschrieben als eins siebenundfünfzig groß, fünfundvierzig Kilo schwer, mit braunen Haaren und braunen Augen. Vor fünfundzwanzig Jahren war sie irgendwo zwischen ihrer Schule und dem Haus ihrer Klavierlehrerin verschwunden. Deborah war eine hervorragende Schülerin, galt als schüchterner Bücherwurm und hatte, soweit bekannt, nie einen Freund gehabt. Wäre sie im Zeitalter des Internets aufgewachsen, dann wüssten sie jetzt wohl wesentlich mehr über sie, doch damals waren Facebook, MySpace und Chatrooms noch nicht erfunden.
Anderthalb Jahre später verschwand das zweite Mädchen auf der Liste. Die fünfzehnjährige Patricia Boles war zuletzt in einem Einkaufszentrum gesehen worden, wo ihre Mutter sie abgesetzt hatte. Drei Stunden später war Patricia nicht am vereinbarten Treffpunkt erschienen. Sie war eins sechzig groß und siebenundvierzig Kilo schwer, hatte blondes Haar und blaue Augen. Wie Deborah Schiffer war sie eine überdurchschnittlich gute Schülerin, die nie Ärger gemacht hatte. Ihr Verschwinden hatte zweifellos mit dazu beigetragen, dass die Ehe ihrer Eltern bald darauf zerbrach. Die Mutter starb sieben Jahre später; der Vater, den Jane endlich an seinem jetzigen Wohnsitz in Florida erreichen konnte, wollte am liebsten gar nicht über seine Tochter sprechen, die er vor so langer Zeit verloren hatte. »Ich bin wieder verheiratet und habe jetzt drei Kinder. Es tut zu weh, auch nur Pattys Namen zu hören«, sagte er zu Jane am Telefon. Ja, er hatte im Lauf der Jahre öfter Anrufe von der Polizei wegen des Falls bekommen. Ja, er hatte vor Kurzem mit Detective Ingersoll gesprochen. Aber aus diesen Telefonaten hatte sich nie irgendetwas ergeben.
Nach Patty Boles’ Verschwinden verging über ein Jahr, ehe das nächste Mädchen vermisst wurde. Sherry Tanaka war sechzehn, klein und zierlich, und besuchte die elfte Klasse der Highschool in Attleboro. Sie verschwand eines Nachmittags aus ihrem Elternhaus. Die Haustür war nur angelehnt, ihre Hausaufgaben lagen noch auf dem Esszimmertisch. Ihre Mutter, die heute in Connecticut lebte, hatte kürzlich einen Brief von Detective Ingersoll erhalten, in dem er sie um ein Gespräch über Sherry bat. Der Brief war auf den vierten April datiert und über eine Reihe älterer Adressen weitergeleitet worden. Erst gestern hatte sie ihn unter der angegebenen Nummer zu erreichen versucht, doch es hatte sich niemand gemeldet.
Weil Ingersoll da schon tot war.
Mrs. Tanaka kannte keines der Mädchen auf der Liste, und sie hatte auch noch nie von Charlotte Dion gehört. Doch der Name Laura Fang war ihr bekannt, weil Laura wie Sherry asiatischer Herkunft war, und dieses Detail war Mrs. Tanaka im Gedächtnis geblieben. Sie hatte sich gefragt, ob es da vielleicht eine Verbindung gebe. Vor Jahren hatte sie deswegen die Polizei in Attleboro angerufen, aber sie hatte bis heute nichts von dort gehört.
Dass in Massachusetts in einem Zeitraum von sechs Jahren drei Mädchen verschwanden, war an sich keine Überraschung. Jahr für Jahr verschwanden im ganzen Land Tausende von Kindern im Alter zwischen zwölf und siebzehn, von denen viele zweifellos von
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