Grabesstille
»Deine Brüder werden das einfach nicht verstehen. Aber du bist meine Tochter; du weißt, was wir Frauen in dieser Welt erdulden müssen. Du weißt, wie ungerecht es zugeht.«
»Ma, deshalb musst du doch noch lange nichts überstürzen.«
»Oh, wir werden nichts überstürzen. Wir werden es auf die altmodische Art machen, mit einer langen Verlobungszeit. Wir lassen uns richtige Einladungen drucken. Dann mieten wir einen großen Saal für den Empfang und beauftragen eine Catering-Firma. Und wir können zusammen nach Kleidern schauen, Janie! Das wär doch was, nur du und ich! Ich neige ja zu Pfirsich oder Lavendel, da ich schließlich nicht – na, du weißt schon.«
Jane streifte Korsak mit einem Blick, um zu sehen, wie er auf diese weibliche Checkliste reagierte, doch er grinste nur breit.
»Diesmal werde ich es langsam angehen und jede Minute von meiner Hochzeit genießen«, sagte Angela. »Und ich werde deinen Brüdern die Gelegenheit geben, sich mit der neuen Situation anzufreunden.«
»Und was ist mit Dad?«
»Was soll mit ihm sein?«
»Wie soll er sich damit anfreunden?«
»Das ist sein Problem.« Angelas Miene verfinsterte sich. »Und wehe, er versucht, als Erster wieder vor den Traualtar zu treten. Oh, das traue ich ihm durchaus zu, weißt du? Dass er die Tussi heiratet, nur um mich zu ärgern.« Sie sah Korsak an. »Wenn ich’s mir recht überlege, sollten wir den Termin vielleicht vorverlegen.«
»Nein! Ma, hör zu, vergiss einfach, dass ich Dad überhaupt erwähnt habe.«
»Ich wünschte, ich könnte ihn vergessen, aber er wird immer da sein wie ein Splitter in meinem Fuß. Ich kann ihn weder rausziehen, noch kann ich so tun, als wäre er gar nicht da. Bei jedem Schritt werde ich an ihn erinnert. Ich hoffe, du wirst nie erleben müssen, wie das ist, Janie.« Sie hielt inne und sah Gabriel an. »Natürlich wirst du das nicht. Du hast ja so einen guten Mann an deiner Seite.«
Einen guten Mann, der immer noch ein Problem damit hat, dass ich Polizistin bin.
Gabriel hielt sich klugerweise aus der Diskussion heraus und konzentrierte sich stattdessen darauf, Regina winzige Kartoffelwürfel in den Mund zu schieben.
»Jetzt habt ihr also die große Neuigkeit vernommen«, sagte Korsak und hob sein Weinglas. »Auf die Familie!«
»Komm schon, Jane! Gabriel!«, forderte Angela sie auf. »Stoßt alle mit uns an.«
Mit stoischer Miene hob Jane ihr Glas und murmelte: »Auf die Familie.«
»Stell dir vor«, meinte Korsak und knuffte Jane gut gelaunt in den Arm. »Jetzt kannst du Dad zu mir sagen.«
»Es ist ja nicht so, als hättest du das nicht kommen sehen«, meinte Gabriel, als er und Jane nach Hause fuhren, mit der schlafenden Regina auf dem Rücksitz. »Sie waren beide einsam, und jetzt schau sie dir an, wie glücklich sie sind. Sie passen perfekt zusammen.«
»Klar doch. Sie kocht, und er isst.«
»Sie hätten es beide sehr viel schlechter treffen können.«
»Sie haben beide ihre gescheiterten Beziehungen noch nicht verarbeitet. Fürs Heiraten ist es definitiv noch zu früh.«
»Das Leben ist kurz, Jane. Das solltest du besser wissen als irgendjemand sonst. In einer Sekunde kann alles vorbei sein. Es braucht nur eine vereiste Straße, einen betrunkenen Autofahrer.«
Oder eine Kugel in einer dunklen Gasse. Ja, das wusste sie, denn nur zu oft musste sie miterleben, wie ein Leben jäh ausgelöscht wurde. Wie jeder Todesfall seine Spuren bei den Überlebenden hinterließ. Sie erinnerte sich an das vom Kummer gezeichnete Gesicht von Joey Gilmores Mutter, an den Schatten, der über Patrick Dions Augen gefallen war, als er über seine Tochter Charlotte gesprochen hatte. Auch neunzehn Jahre später litten die Hinterbliebenen noch unter den Folgen einer solchen Katastrophe.
»Mir graut davor, meinen Brüdern die frohe Botschaft zu überbringen«, sagte sie.
»Du denkst, sie werden es nicht gut aufnehmen?«
»Frankie wird einen Anfall kriegen. Für ihn ist das der Horror – die Vorstellung, dass Ma mit einem anderen Mann, du weißt schon …«
»Ins Bett geht?«
Jane zuckte zusammen. »Ich gebe zu, bei dem Gedanken wird mir auch ganz anders. Ich mag Korsak. Er ist ein anständiger Kerl, und er wird sie gut behandeln. Aber verdammt, sie ist meine Mutter.«
Gabriel lachte. »Und deine Mutter hat immer noch Sex. Das musst du akzeptieren. Ruf einfach Frankie an und bring’s hinter dich.«
Doch als sie zu Hause ankamen, schob sie die unangenehme Pflicht auf und machte einen großen Bogen ums
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