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Grabesstille

Grabesstille

Titel: Grabesstille Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jan Burke
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und war schon halb hinausgestiegen, als er sagte: »Danke.«
    »Kämpfen Sie weiter, Ben Sheridan, sonst bin ich echt stinksauer auf Sie.«
    »Seien Sie vorsichtig, Lois Lane.«
    »Aber sicher, Quincy.«
    »O Gott, machen Sie bloß keinen Pathologen aus mir!«
    Ich erreichte die Kuppe des Felshaufens und sah ihn unter mir, wo er auf einmal verletzlich und allein wirkte. Fast hätte ich erwogen, bei ihm zu bleiben, aber ich wusste, dass wir eine leichte Beute für Parrish wären, falls er uns fand.
    Vielleicht sah mir Ben meine Unentschlossenheit an, da er sagte: »Schubsen Sie den alten Nicky eine Felswand runter, und dann kommen Sie zurück und erzählen mir die Geschichte von Parzival zu Ende.«
    »Klar. Ich werde mich bemühen, Sie nicht zu lange auf den Schluss warten zu lassen.«
    Ich warf einen letzten Blick auf ihn, wobei ich hoffte, dass es nicht wirklich ein letzter Blick war, winkte und begann meinen Weg zurück zum Bach, während ich zuhörte, wie Parrishs Axt ihre Drohung, ihren Sirenenruf, ihre Warnung verkündete.
     

24
     
    FREITAG MORGEN, 19. MAI
    Bergland der südlichen Sierra Nevada
     
    Er war stark.
    Vermutlich hatte ich das schon vorher gewusst, aber ihm dabei zuzusehen, wie er die Axt gegen den Baum am gegenüberliegenden Ufer schwang, machte mich mutlos, und ich fragte mich, wie in aller Welt ich auf die Idee gekommen war, ihn besiegen zu können.
    Er schlug wild drauflos, wütend. Der Baum war nicht wuchtig – eine Kiefer, die hoch genug war, um über den Bach zu reichen, und dick genug, um sein Gewicht zu tragen.
    Ich zwang mich, darüber nachzudenken, wie ich ihm entkommen und ihn von Ben weglotsen konnte. Meine ersten panischen Gedanken umfassten abwegige Methoden, ihn zu töten: einen schweren Stein auf ihn zu werfen, während er auf den Baum einhackte; ihm eines über den Schädel zu ziehen, während seine Hände beschäftigt waren; mich à la Tarzan an einer Liane über den Bach zu schwingen und ihn mit meinem Messer zu erstechen, während die Axt im Baum steckte; mir einen Wurfspeer zu schnitzen und ihn zu durchbohren, während er auf halbem Weg über den Fluss war.
    Alles nicht praktikabel. Ich habe einen guten Wurfarm, aber das hier war keine gerade Luftlinie, und wenn ich ihn nicht traf, würde er auf mich schießen. Passende Lianen von Tarzan-Format fehlten; und selbst wenn ich die Zeit gehabt hätte, mir einen Speer zu schnitzen, waren die Aussichten gleich Null, zu lernen, wie man ihn akkurat wirft, wenn man nur eine einzige Chance auf Leben oder Tod bekommt.
    Ich fand allerdings einen zweiten Stock, der sich als Keule benutzen ließ, und ein paar Steine in Baseballgröße. Wenn er mich irgendwie dabei gesehen hatte, wie ich ihn beobachtete, und mir nachsetzte, bevor ich ans andere Ufer überwechselte, würde ich mich mit allen Mitteln gegen ihn zur Wehr setzen.
    Ich vernahm ein langsames Knacken und dann ein donnerndes Krachen. Der Baum begann nachzugeben; seine oberen Äste blieben erst hängen und knallten dann wie Schüsse, als sie auf ihrem Weg nach unten die Äste anderer Bäume streiften. Mit einem lauten Knall, der die Erde unter meinen Füßen erzittern ließ, kam der Baum auf meiner Seite des Baches auf.
    Bingle presste sich auf die Erde und legte die Ohren nach hinten, blieb aber bei mir. Vorsichtig spähte ich aus meinem Versteck hervor.
    Nick Parrish stand da und musterte sein Werk. Er konnte den Bach jetzt mit Leichtigkeit überqueren. Die untersten Äste des Baumes bildeten zwar auf dieser Seite ein oder zwei Hindernisse, doch er hatte die Stelle für seine Überquerung und das Material für die Brücke klug gewählt.
    Würde er damit rechnen, dass ich so nahe war? Wäre ihm klar, dass ich vielleicht auf den Lärm zugelaufen war, den er beim Baumfällen machte? Ich glaubte es nicht. Er würde erwarten, dass ich davonlief. Er erwartete Angst.
    Er sah nun auf die Axt. Ich versuchte, mir nicht auszumalen, wie er sie an mir benutzte. Er erwartet Angst, sagte ich mir noch einmal. Gönn sie ihm nicht.
    Und so versuchte ich mir vorzustellen, dass sich die Axt in meinen Händen befände, was mich auf einmal veranlasste, mir zu überlegen, wessen Axt dies eigentlich war. Ich konnte mich nicht entsinnen, dass irgendjemand mit einer Axt unterwegs gewesen wäre oder in den letzten paar Tagen eine benutzt hätte. Hatte Parrish noch weitere Werkzeuge und Waffen hier in der Nähe versteckt?
    Er trug die Axt bei sich, als er begann, auf dem Baumstamm entlangzugehen. Er benutzte

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