Grabesstille
ab«, erklärte ich. »Selbst wenn er mich erwischt, wird er wahrscheinlich – na ja, jedenfalls haben Sie dann noch etwas Zeit.«
»Herrgott noch mal –«
»Ich glaube, er weiß nicht, dass Sie noch leben«, fuhr ich fort. »Ich habe mich bemüht, alles, was ihn darauf hinweisen könnte, dass Sie mit im Zelt waren, mitzubringen oder zu vergraben. Ich habe die Schlafsäcke und eine Plane dabei, ein bisschen Essen und Wasser. Wenn Sie durchhalten, bis der Hubschrauber kommt, und vielleicht ein Signalfeuer anzünden, sobald Sie ihn hören – ich weiß nicht, das ist vielleicht auch nicht ganz ungefährlich – hier sind jedenfalls Wasser und das Keflex. Ich suche eine Stelle, wo ich Sie verstecken kann, und komme dann gleich wieder.«
»Irene, hören Sie mir zu. Das ist doch Blödsinn. Laufen Sie. Laufen Sie einfach weg. Ich flehe Sie an – bitte. Bitte verschwinden Sie von hier. Ich kann mich unter diesem Baum verstecken.«
»Wenn die Feuchtigkeit Sie nicht umbringt, fressen Sie die Insekten bei lebendigem Leib. Ich wette, Sie haben schon Ameisenbisse.«
»Ameisenbisse! Wer scheißt sich schon um Ameisenbisse!«
»Bingle«, sagte ich, »cuídalo.«
»Was haben Sie da gerade zu ihm gesagt?«
»Er passt auf Sie auf, solange ich weg bin.«
»Ach du lieber Gott!«
»Bin gleich wieder da.«
»Nicht! Nicht zurückkommen! Laufen Sie weg!«
Ich begann zum heiligen Judas zu beten, wie es altmodische Katholiken in schweren Zeiten zu tun pflegen. Wo ich schon dabei war, bat ich noch den heiligen Antonius, ein Versteck für Ben zu finden. Ich nahm die direkte Leitung.
Ich weiß zwar nicht, wer als Erster zum Big Boss durchdrang, aber ich war noch nicht weit gegangen, als ich eine Gruppe relativ trockener Felsblöcke fand, die groß genug waren, um einen Menschen zu verbergen, und Ben nicht zwingen würden, das gesamte Insektenleben in einem umgestürzten Baum über sich ergehen zu lassen.
Ich schleppte zuerst die Sachen hin, ohne auf Bens erneute Einwände zu hören. Er hätte wissen müssen, dass es zwecklos war.
Als ich zurückkam, um ihn zu holen, hatte er das entweder begriffen, oder er war es Leid geworden, denn er machte mir keinen weiteren Kummer – abgesehen davon, dass er irgendwas über dickköpfige Frauen murmelte, aber die Leute, die im Lauf der Jahre etwas in der Art zu mir gesagt haben, stehen schon von links Schlange.
Ich lobte Bingle, wies ihn an, uns zu folgen, und half dann Ben, den ich auf den Rücken nahm, als wir bei den Felsen angelangt waren.
Nachdem wir es geschafft hatten, Ben unter qualvollen Mühen in seine steinerne Festung zu bugsieren – sein verletztes Bein bekam vier oder fünf heftige Stöße ab –, machte ich draußen die Runde und musterte die Felsen aus jedem möglichen Winkel. Ich konnte Ben nur sehen, wenn ich über mehrere Felsschichten kletterte. Zufrieden, dass wir damit für die kurze Zeit unser Bestes getan hatten, ernannte ich Bingle erneut zum Wächter und kroch mit ihm in Bens Versteck, wobei ich ihm die Krücke mitbrachte. Ich half ihm rasch, in ein frisches Hemd zu schlüpfen. Die Shorts hatten sich weitaus besser gehalten. Ich legte ihm einen Schlafsack um. Dann vergewisserte ich mich, dass Wasser und andere Dinge in Reichweite waren.
»Ich gehe jetzt«, sagte ich. »Halten Sie es hier aus?«
Er nickte.
»Wenn Sie Frank Harriman vor mir sehen, sagen Sie ihm – grüßen Sie ihn von mir, ja?«
»Klar.«
In diesem Moment ertönte vom Wald her ein Geräusch. Es wiederholte sich wieder und wieder, in regelmäßigen Abständen. Ich erkannte es nicht, aber Ben schon.
»Eine Axt. Er fällt einen Baum. Vermutlich baut er eine Brücke über das Wasser.«
»Dann sehe ich lieber mal zu, dass ich ihn gleich wieder ans andere Ufer locke. Sind Sie sicher, dass Sie hier zurechtkommen?«
»Ja.«
»Schaffen Sie es, hier wieder rauszusteigen, wenn es sein muss?«
»Ja, ich kann mich im Notfall über die Felsen schleppen. Sie nehmen Bingle mit, oder?«
»Ja. Sonst fragt sich Parrish, warum ich ihn nicht bei mir habe, wenn er ihn nicht an meiner Seite sieht. Aber falls – falls nötig, werde ich versuchen, ihn zu Ihnen zurückzuschicken.«
»Ich kann aber nicht viel Spanisch«, sagte er. »Kommen Sie mich lieber selbst holen.«
Ich lachte und wollte schon gehen, doch dann beugte ich mich zu ihm hinab und umarmte ihn. Zuerst schien er ein wenig überrascht, doch dann erwiderte er meine Umarmung. »Passen Sie auf sich auf«, sagte er.
»Sie auch.«
Ich stand auf
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