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Grabesstille

Grabesstille

Titel: Grabesstille Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jan Burke
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Steine als Kennzeichen auf.
    »Okay, Bingle«, sagte ich und befestigte die Leine wieder. »Jetzt ziehen wir eine Show ab.«
    Ich ging zurück in Richtung Bach, hielt mich aber außer Sichtweite zwischen den Bäumen. » Cántame, Bingle. Sing mir was vor.«
    Er sah mich an, blickte zur Wiese zurück und wimmerte.
    Ich schluckte schwer. »Cántame, Bingle.«
    Er legte sich hin und weigerte sich, mich anzusehen. Ich versuchte, sein Gesicht zu umfassen, doch er hielt nach wie vor den Blick abgewandt.
    »Okay, das gehört also David«, sagte ich. »Ich entschuldige mich. Würdest du für mich sprechen? Háblame, Bingle. Por favor, háblame. «
    Er sah zu mir auf.
    »¡Háblame!«
    Er musterte mich und sah unentschlossen drein.
    »¡Háblame!«, versuchte ich es noch einmal.
    Er bellte.
    »¡Muy bien! ¡Háblame!«
    Da begann er sich auf meine Bitte einzulassen. Er bellte und bellte, und ich lobte ihn auf Spanisch, bis ich schließlich zwischen den Bäumen am anderen Ufer Bewegung erkennen konnte. Laut rief ich auf Englisch: »Hör auf zu bellen! Bitte, Bingle!« Auf Spanisch fuhr ich fort, begeistert das Gegenteil zu befehlen.
    Da ich es nicht übertreiben wollte, sagte ich schließlich:
    »¡Cálmate, cállate!«
    Er verstummte. Ruhig streichelte ich ihn und lobte ihn auf Spanisch. Wir kehrten zum Beginn des Hindernisweges zurück, den ich für Parrish vorbereitet hatte.
    Bingle hatte Parrishs Gegenwart schon seit geraumer Zeit wahrgenommen. Vermutlich hatte er seinen Geruch in der Brise erschnuppert, die alle paar Minuten in unsere Richtung wehte. Falls es zutrifft, dass Tiere Angst riechen können, überforderte ich allerdings das Riechorgan des armen Hundes.
    Parrish erreichte seine kleine Brücke und konnte es sich nicht verkneifen, mich zu verhöhnen. »Ich finde dich, glaub’s mir!«
    Was soll’s?, dachte ich mir. Geh nicht gelassen in die gute Nacht.
    »Hey, Nick!«, brüllte ich. »Für wen haben Sie denn den Zuhälter gemacht, nachdem Ihre Mutter gestorben war?«
    Nach befriedigendem Schweigen brüllte er zurück: »Dafür wirst du bezahlen!«
    »Hat das Mama auch immer gesagt, Nicky?«
    Das spornte ihn zur Eile an.
    »¡Apúrate!«, sagte ich zu Bingle, und wir rannten los. Dabei machten wir eine Menge Lärm. Bingle hielt in lockerem Trab mit und genoss es in vollen Zügen. Mir fiel es nicht ganz so leicht, da ich durch den Matsch stapfen musste. Über unseren eigenen Geräuschen hörte ich schon bald, wie Parrish hinter mir durchs Gehölz brach.
    Ich kam zur ersten Baumgruppe, schlug einen Haken um sie und stellte mich nicht weit von den Bäumen mit dem sichtbareren Seil in Positur. Sobald Parrish in Sichtweite kam, eilte ich demonstrativ zu diesem Seil hinüber, Bingle im Schlepptau. Ich hörte Parrish brüllen: »Nette Idee«, bevor er über das andere, versteckte Seil stolperte.
    Ich hörte ihn aufschreien.
    Ich rannte weiter und rief Bingle zu, dass er mir folgen solle. Wir rannten eine weite Strecke, indem wir uns zwischen den Bäumen hielten, bis ich mir sicher war, dass mir Parrish nicht mehr folgte.
    Ich ruhte mich aus, da mir schlecht und schwindlig war, und klammerte mich an Bingle. Er gab keinen Hinweis darauf, dass er Parrish roch oder hörte.
    Ich wartete, solange ich es aushielt. Falls ihn einer dieser Pflöcke getötet hatte, wollte ich wieder zu Ben zurückkehren.
    Zumindest wusste ich, dass ich ihn verletzt hatte. Falls er nur verletzt war, wollte ich wissen, wo er war. Ich hatte eine Aufgabe zu erledigen.
     
    Ich wäre beinahe mit ihm zusammengestoßen.
    Bingle merkte vor mir, dass er in der Nähe war, aber doch nicht früh genug. Er hatte sich in unserem Rückenwind gehalten, und obwohl Bingle einen Moment zuvor geknurrt hatte, stieß ich einen verblüfften Schrei aus, als Parrish hinter einem Baum hervortrat.
    Sein Hemd war voller Blutflecken, und er hatte sich einen provisorischen Verband um die linke Schulter gewickelt. In der rechten Hand hielt er eine Pistole.
    Bingle bellte ihn an.
    Parrish lächelte. »Ich glaube, ich werde erst einmal den Hund erschießen.«
     

25
     
    FREITAG MORGEN, 19. MAI
    Bergland der südlichen Sierra Nevada
     
    »Wie unsportlich von Ihnen«, sagte ich.
    »Unsportlich?«, sagte er und blickte leicht amüsiert drein.
    »Ich meine, einen Hund zu erschießen, der angeleint ist und nur vier oder fünf Meter von Ihnen weg steht? Wow – Sie sind ja ein sagenhafter Jäger.«
    »Glaubst du etwa, so ein Schwachsinn erspart dir irgendwas? Soll ich jetzt

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