Grabesstille
beeindruckt sein?«
Ich hoffte, dass er es war. Ich war schon stolz auf mich, weil ich mir noch nicht in die Hosen gemacht hatte. Während ich mich auf das Geräusch von Schüssen gefasst machte, bückte ich mich zu Bingle hinab und schützte seinen Kopf. Im Grunde kein großes Risiko. Parrish mochte zwar auf mich schießen, aber ich wusste, dass das nicht seinen Fantasien entsprach. Er hatte mir einen wesentlich ausgedehnteren Leidensweg zugedacht. Fast wünschte ich mir, er würde mich erschießen.
»Steh auf!«, brüllte er.
Ich machte Bingles Leine los.
»Geben Sie dem Hund einen Vorsprung«, sagte ich und blieb unten.
»Du willst ihm sagen, dass er mich beißen soll«, sagte er und zielte mit der Pistole auf mich.
»Nein, Sie würden ihn bloß umbringen. Ich will ihm sagen, dass er den Bach überqueren soll.«
»Erwartest du, dass ich dir glaube, dass er solche Befehle versteht?«
»Sie haben gesehen, wie gut er trainiert ist. Geben Sie ihm doch selbst den Befehl – wenn Sie es auf Spanisch sagen, gehorcht er Ihnen.«
»Ich spreche keine Sprachen minderwertiger Völker.«
»Fürst der Polyglotten«, murmelte ich.
»Was?«
»Ich habe gesagt, ich bezweifle, dass Sie ein so großartiger Schütze sind. Ich gebe ihm den Befehl. Lassen Sie ihn den Bach überqueren. Probieren Sie, ob Sie ihn auf die Distanz erschießen können. Selbst wenn Sie ihn nicht treffen, schlagen Sie ihn in die Flucht.«
»Ihn nicht treffen?« Parrish lachte. »Na gut, Irene, du scheinst ein bisschen Respekt lernen zu müssen. Vielleicht dient das als eine Art Demonstration. Aber ich warne dich: Falls du vorhast, ihn auf mich zu hetzen, kann ich ohne weiteres einen Schuss abfeuern, bevor er mir auch nur nahe kommt.«
»Mal sehen«, sagte ich. »Zuerst muss ich ihn beruhigen.«
»Bingle«, sagte ich leise. »¿Bingle, dónde está Ben? Búscalo, Bingle.«
Bingle hörte auf zu knurren, sah mich an und legte den Kopf schief. Er winselte.
»Eres un perro maravilloso, Bingle. ¿Dónde está Ben? Es muy importante, Bingle. ¡Búscalo!«
Er blickte über den Bach, dann zurück zu mir und zu Parrish. Erneut sah er mich an und winselte wieder.
»Bien, Bingle. ¿Listo? ¡Búscalo! Cuídalo. Por favor, Bingle. Ben, Bingle. Ben. ¡Apúrate, búscalo! ¡Cuídalo! ¡Vete!«
Er lief los, blieb wieder stehen und blickte zu mir zurück. »¡Bien! ¡Sigue, adelante!«
Ich versuchte, meine Stimme begeistert klingen zu lassen, während ich froh darüber war, dass Ben nicht »Charles« oder »Jim« hieß, Namen, die zwischen den spanischen Wörtern deutlicher erkennbar gewesen wären.
Bingle setzte sich wieder in Bewegung. Parrish sagte: »Geh ihm bis zum Bach nach.«
Er war nie weit hinter mir, und ich hegte keinen Zweifel daran, dass die Pistole auf mich gerichtet war, nicht auf den Hund. Als er sah, dass wir ihm folgten, zeigte sich Bingle weniger zögerlich und begann in raschem Trott auf den gefällten Baum zuzulaufen.
»¡Adelante!«, sagte ich und fragte mich, ob er es allein auf den Baum schaffen würde.
Ich hätte mir keine Sorgen zu machen brauchen. Er war geschickt und trainiert, und schon bald bahnte er sich den Weg hinüber. Doch als ich ihm nicht folgte, blieb er stehen.
»¡Lárgate!«, befahl ich. Hau ab!
Er rührte sich nicht.
»Ich habe genug von diesem albernen Köter«, sagte Parrish, trat hinter mir hervor und zielte mit der Pistole auf den Hund.
»Ich wusste, dass Sie es nicht können«, sagte ich rasch. »Ich wusste, dass Sie es sich leicht machen würden!«
»Dann mal Beeilung!«
»¡Lárgate!«, sagte ich erneut, im strengsten Tonfall, der mir möglich war.
Bingle lief schnell davon. Als er schon zum Teil von den Zweigen verdeckt war, brüllte ich: »¡Apúrate, Bingle! ¡Vete!«
Er gehorchte. Er lief weg vom Bach, in die Bäume. Doch er war noch nicht außer Sichtweite. Parrish legte konzentriert auf ihn an, als ich gegen ihn prallte und uns beide zu Boden warf. Parrish feuerte im Fallen einen Schuss ab und jaulte auf, als er sich die Schulter anschlug.
»¡Vete, Bingle! ¡Vete!«, rief ich erneut, noch als ich mich aufrappelte. Er gehorchte und lief durch die Bäume. Ich versuchte es ihm gleichzutun.
Ich kam nicht weit. Parrish rollte sich herum, packte meinen Knöchel und zog mich brutal nach unten. Ich trat und kratzte, aber er warf sich auf mich, stieß mein Gesicht tief in den Matsch und hielt mich fest, bis meine Lungen nach Luft schrien. Ich kämpfte, versuchte, ihn abzuwerfen, versuchte, mich
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