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Grabesstille

Grabesstille

Titel: Grabesstille Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jan Burke
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sie als eine Art Balancierhilfe und bewegte sich vorsichtig. Er kam näher und näher.
    Er hatte die Hände voll und die Pistole im Halfter stecken. Die Versuchung, einen Stein nach ihm zu werfen, war stark. Der Bach war nicht weit unter ihm, nur einen guten Meter. Er floss schnell und war kalt, nur wusste ich nicht, wie tief er war. Parrish hielt den Blick jetzt von mir abgewandt und näherte sich den Ästen, die ihn teilweise verbergen würden. Womöglich bekäme ich nie eine bessere Gelegenheit. Doch wenn ich nicht traf? Vielleicht konnte ich ihm ja trotzdem entkommen.
    Ich hatte einen der Steine aufgehoben und wog ihn in der Hand, als Parrish das Gleichgewicht verlor. Er war fast auf meiner Seite des Bachs angelangt, als einer der Äste, die den gefällten Stamm hielten, unter seinem zusätzlichen Gewicht nachgab. Der gesamte Stamm sackte urplötzlich mehrere Zentimeter ab, und Parrish hechtete nach vorn. Er ließ die Axt los und fasste hektisch nach den nächst gelegenen Ästen.
    Die Axt fiel in das tosende Wasser unter ihm, doch der Ast, nach dem er gegriffen hatte, hielt. Er zog sich hoch und sah erschüttert drein. Meine Freude daran war nur kurz.
    Flüsternd wies ich Bingle an, ruhig zu sein, und beobachtete Parrish dabei, wie er sich rasch den Weg ans Ufer bahnte. Ich kauerte mich hinter einen umgestürzten Baum, da ich es nicht weiter riskieren wollte, ihn zu beobachten, und lauschte, wie er durch den Wald schritt und meinem Versteck immer näher kam. Ich nahm den Knüppel fest in die Hand. Parrish blieb nicht weit von mir entfernt stehen, und einen Moment lang war ich mir sicher, dass er mich gesehen hatte und lediglich überlegte, wie er mich am besten gefangen nehmen sollte. Doch er ging weiter auf die Stelle zu, wo er Bingle hatte bellen hören.
    Ich zwang mich, noch ein Weilchen zu warten, dann stand ich auf und reckte mich. Bingle streckte die Hinterbeine und folgte mir zu Parrishs Brücke. Ich befestigte die Leine an seinem Geschirr und hoffte, er würde nicht davor zurückschrecken, den tosenden Bach zu überqueren. Ich war mir nicht sicher, ob ich stark genug wäre, ihn davor zu bewahren, abgetrieben zu werden, falls er hineinfiel.
    Ich hätte mir keine Sorgen zu machen brauchen. Er sträubte sich nicht gegen meine Bemühungen, ihm dabei zu helfen, auf den Baum zu klettern, und als wir erst einmal aus den Ästen heraus waren, begann er so schnell und so geschickt zu balancieren, dass ich mich darauf konzentrieren musste, mit ihm Schritt zu halten, anstatt mir Gedanken darüber zu machen, dass ich ins Wasser fallen könnte.
    »Bien«, flüsterte ich, als wir das schlammige Ufer auf der anderen Seite erreicht hatten. »Du hast wohl schon öfter auf diese Art Bäche überquert, Bingle.«
    Ich nahm ihm die Leine ab und gönnte mir einen Moment Zeit, um den gefällten Baum zu mustern und nach etwas zu suchen, das ich später als eine Art Hebel einsetzen konnte, um ihn zu bewegen, fand aber nichts. Mir ging auf, dass dieses Stück Bach nicht weit vom Gruppenlager entfernt war. Da ich hoffte, mir noch einmal ein paar nützliche Gegenstände von dort holen zu können, ging ich dorthin zurück. Ich musste mehrmals nach Bingle rufen, um ihn davon abzuhalten, zur Wiese zurückzulaufen.
    Unter den durchnässten Ruinen des Lagers entdeckte ich ein Stück Schnur, das nützlich sein könnte, aber sonst nicht viel. Ich nahm an, dass Parrish einige Zeit brauchen würde, um herauszufinden, wo ich die vergangene Nacht verbracht hatte, und das Zelt zu durchwühlen – doch ich wollte ihm nicht genug Zeit lassen, um Ben zu finden. Rasch kehrte ich zum Bach zurück und ging am Ufer entlang, bis ich in der Nähe der Stelle war, wo Parrish gestanden hatte, als er nach mir gerufen hatte.
    Ich ging ein kleines Stück in den Wald, suchte mir zwei kleine Bäume und spannte etwa in Knöchelhöhe ein Stück Schnur zwischen ihnen, das ich mit Blättern bedeckte. Eilig schärfte ich mit dem Messer drei Stöckchen und steckte sie etwa einen Meter hinter der Schnur mit dem spitzen Ende nach oben etwa in Fünfundvierzig-Grad-Winkeln in die weiche Erde, so dass sie einen Pfeil bildeten, der zum Seil zurück zeigte. Auch sie bedeckte ich mit Blättern. Ein Stückchen weiter weg, in direkter Sichtweite zu den ersten Bäumen, spannte ich ein zweites Seil zwischen zwei anderen Bäumen, diesmal in einer Höhe von etwa dreißig Zentimetern über dem Boden.
    Rasch präparierte ich einen Parcours durch den Wald und stapelte hin und wieder

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