Grabkammer
der Tatsache, dass sein Sohn schuldig ist.«
»Wir können uns keine weiteren Pannen mehr leisten, Rizzoli.
Ihr Team hat schon einmal einen Riesenbock geschossen, und diese junge Frau hat dafür bezahlt.«
Wenn er die Absicht gehabt hatte, sie zu verletzen, dann hätte er es nicht geschickter anstellen können. Sie spürte, wie ihr Magen sich zusammenkrampfte, während sie vor ihm stand und die Akte umklammert hielt – so, als könnte dieses Bündel Papiere ihr schlechtes Gewissen wegen Josephines Entführung beruhigen.
»Aber das wissen Sie ja selbst«, sagte er.
»Ja, das weiß ich«, erwiderte sie. Und dieser Fehler wird mich bis ans Ende meiner Tage verfolgen.
Das Haus, in dem Nicholas Robinson lebte, stand in Chelsea, nicht weit von dem Arbeiterviertel Revere entfernt, wo Jane aufgewachsen war. Wie Janes Elternhaus war es einfach und bescheiden, mit einer überdachten Veranda und einem winzigen Vorgarten. Hier wuchsen die größten Tomatenpflanzen, die Jane je gesehen hatte, doch die schweren Regenfälle der letzten Tage hatten die Früchte beschädigt, und einige überreife Exemplare hingen faulend am Strauch. Die vernachlässigten Pflanzen hätten sie vorwarnen können, was Robinsons psychische Verfassung betraf. Als er die Tür öffnete, war sie erschrocken, wie erschöpft und mitgenommen er aussah, die Haare wirr, das Hemd so zerknittert, als hätte er schon mehrere Nächte darin geschlafen.
»Gibt es etwas Neues?«, fragte er und studierte ängstlich besorgt ihre Miene.
»Nein, tut mir leid. Darf ich reinkommen, Dr. Robinson?«
Er nickte matt. »Natürlich.«
Im Haus ihrer Eltern in Revere dominierte der Fernseher das ganze Wohnzimmer, und der Couchtisch war mit diversen Fernbedienungen übersät, die sich im Lauf der Jahre auf wundersame Weise vermehrt hatten. Doch in Robinsons Wohnzimmer konnte sie überhaupt keinen Fernseher entdecken, keine Stereoanlage, keinen CD-Player und weit und breit keine einzige Fernbedienung. Stattdessen waren die Regale mit Büchern, kleinen Statuen und Tonwaren angefüllt, und an den Wänden hingen Karten der alten Welt.
Es war in jeder Hinsicht das Heim eines unterbezahlten Akademikers, doch es herrschte Ordnung in dem Chaos, als ob jedes Teil genau an seinem vorgeschriebenen Platz stünde.
Er sah sich im Zimmer um und schien unschlüssig, was er als Nächstes tun sollte. Schließlich wedelte er hilflos mit den Händen. »Tut mir leid. Ich sollte Ihnen wohl etwas zu trinken anbieten, nicht wahr? Ich fürchte, ich bin kein sehr guter Gastgeber.«
»Danke, machen Sie sich keine Umstände. Warum setzen wir uns nicht einfach hin und reden?«
Sie nahmen auf den bequemen, aber abgenutzten Sesseln Platz. Draußen röhrte ein Motorrad vorbei, aber in diesem Haus mit seinem unter Schock stehenden Besitzer war alles still. Leise sagte er: »Ich weiß nicht, was ich machen soll.«
»Ich habe gehört, dass das Museum vielleicht für immer schließen wird.«
»Ich habe nicht vom Museum gesprochen. Ich meinte Josephine. Ich würde alles tun, um zu helfen, sie zu finden, aber was kann ich tun?« Er wies auf seine Bücher, seine Karten.
»Das ist es, worin ich gut bin. Im Sammeln und Katalogisieren!
Im Interpretieren nutzloser Fakten aus der Vergangenheit. Was bringt ihr das, frage ich Sie? Es hilft Josephine nicht im Geringsten.« Er senkte resigniert den Blick. »Und es konnte Simon nicht retten.«
»Vielleicht können Sie uns doch helfen.«
Er blickte mit seinen vor Erschöpfung getrübten Augen zu ihr auf. »Fragen Sie mich. Sagen Sie mir, was Sie von mir brauchen.«
»Ich werde mit folgender Frage beginnen: Welcher Art war Ihr Verhältnis zu Josephine?«
Er runzelte die Stirn. »Unser Verhältnis?«
»Ich glaube, sie war mehr als nur eine Kollegin für Sie.«
Wesentlich mehr, nach dem zu urteilen, was sie in seinem Gesicht sah.
Er schüttelte den Kopf. »Sehen Sie mich doch an, Detective.
Ich bin vierzehn Jahre älter als sie. Ich bin hoffnungslos kurzsichtig, ich verdiene mit Mühe meinen Lebensunterhalt, und ich bekomme allmählich eine Glatze. Was sollte eine Frau wie sie an einem Mann wie mir finden?«
»Sie war also nicht an einer Beziehung interessiert.«
»Das kann ich mir absolut nicht vorstellen.«
»Sie meinen, Sie wissen es gar nicht sicher? Haben Sie sie denn nie gefragt?«
Er lachte verlegen. »Ich hatte einfach nie den Mut, es direkt auszusprechen. Und ich wollte sie nicht in Verlegenheit bringen. Es hätte vielleicht am Ende
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