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Grabkammer

Grabkammer

Titel: Grabkammer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tess Gerritsen
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machen. Erst vor ein paar Stunden hatte Daniel ihr zerknirscht mitgeteilt, dass er an diesem Abend an einem Essen mit Bischöfen aus New York teilnehmen sollte, die seiner Diözese einen Besuch abstatteten. Der Anruf hatte mit den Worten geendet, die sie schon so oft gehört hatte: Es tut mir leid, Maura. Ich liebe dich, Maura. Ich wünschte, ich könnte den Termin absagen.
    Aber das konnte er nie.
    Jetzt lagerten die Kalbshaxen in ihrem Tiefkühlfach, und statt Ossobuco würde es nur ein gegrilltes Käsesandwich geben, das sie mutterseelenallein verzehrte und mit einem kräftigen Gin Tonic hinunterspülte.
    Sie versuchte sich vorzustellen, wo Daniel in diesem Moment war. Vor ihrem geistigen Auge sah sie ihn mit ernsten, schwarz gekleideten Männern an einem Tisch sitzen; sah, wie sie vor dem Essen die Köpfe senkten und ihre Tischgebete murmelten.
    Dann das gedämpfte Klappern des Bestecks auf den Tellern, während sie über wichtige Kirchenthemen diskutierten: der Rückgang der Einschreibungen an den Seminaren, die Überalterung der Priesterschaft. Jede Branche veranstaltete ihre eigenen Geschäftsessen, aber anders als alle anderen würden diese Männer hinterher nicht zu ihren Frauen und Kindern heimkehren, sondern jeder in sein einsames Bett. Während du an deinem Wein nippst, fragte sie ihn in Gedanken, wenn du dich unter deinen Kollegen am Tisch umschaust, stört es dich dann gar nicht, dass du kein einziges weibliches Gesicht siehst und nicht eine weibliche Stimme hörst?
    Und denkst du zwischendurch auch einmal an mich?
    Sie drückte das Käsesandwich in die heiße Pfanne und sah zu, wie die Butter brutzelte und das Brot allmählich knusprig wurde. Neben Rührei war ein gegrilltes Käsesandwich eines ihrer Standardgerichte für alle Fälle, und der Duft der gebräunten Butter rief in ihr Erinnerungen an all die Abende während ihres Medizinstudiums wach, an denen sie nach einem anstrengenden Tag in ihre Bude zurückgekommen war. Doch es war auch der Duft jener Abende nach ihrer Scheidung, als die Wunden noch zu frisch gewesen waren und sie sich einfach nicht dazu hatte aufraffen können, irgendetwas Komplizierteres zu kochen. Der Geruch von gegrilltem Käsesandwich war der Geruch des Scheiterns.
    Draußen brach die Nacht herein, und die Dunkelheit legte sich gnädig über den vernachlässigten Gemüsegarten, den sie im Frühjahr so voller Optimismus angelegt hatte. Jetzt war er nur noch eine Wildnis aus Unkraut, geschossenem Kopfsalat und ungeernteten Erbsenschoten, die ledrig und vertrocknet an den verschlungenen Ranken hingen. Irgendwann, sagte sie sich, werde ich es schaffen. Ich werde regelmäßig Unkraut jäten und gießen. Aber in diesem Sommer war der Garten eine Wüste, ein weiteres Opfer von allzu vielen Verpflichtungen und allzu vielen Ablenkungen.
    Letztere vor allem in Gestalt von Daniel.
    Sie sah ihr Spiegelbild in der Fensterscheibe, die hängenden Mundwinkel, die müden, verkniffenen Augen. Ein bedrückender Anblick, der sie erschreckte wie das Gesicht einer Fremden. Würde ihr in zehn oder zwanzig Jahren immer noch dieselbe Frau aus dem Spiegel entgegenblicken?
    Die Pfanne begann zu qualmen, das Brot wurde schon schwarz. Sie drehte rasch die Platte ab und öffnete das Fenster, um den Rauch abziehen zu lassen, ehe sie ihr Sandwich zum Küchentisch trug. Gin und Käse, dachte sie, als sie sich noch einen Schuss nachschenkte. Die ausgewogene Diät für die depressive Frau von heute. Während sie an ihrem Drink nippte, ging sie die Post durch, die sie an diesem Abend im Briefkasten gefunden hatte, sortierte die Werbebroschüren aus und legte die Rechnungen, die sie an diesem Wochenende zu begleichen gedachte, auf einen Stapel.
    Ein Umschlag ohne Absender, auf dem in Maschinenschrift ihr Name und ihre Adresse standen, ließ sie innehalten. Sie schlitzte ihn auf und zog ein gefaltetes Blatt Papier heraus.
    Kaum hatte sie einen Blick darauf geworfen, als sie es schon fallen ließ, als hätte sie sich die Finger verbrannt.
    In Druckbuchstaben mit Tinte geschrieben, standen dort die gleichen zwei Worte, die sie in blutigen Lettern an der Kellertür des Crispin Museums gesehen hatte.
    FINDE MICH
     
    Sie schnellte von ihrem Stuhl hoch und stieß dabei ihr Gin-Tonic-Glas um. Eiswürfel kullerten über den Boden, doch sie ignorierte sie und stürzte zum Telefon.
    Nach dem dritten Klingeln meldete sich eine forsche Stimme.
    »Rizzoli.«
    »Jane, ich glaube, er hat mir geschrieben!«
    »Was?«
    »Der Brief

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