Grabkammer
so sicher sein?«, fragte Marquette.
»Sie können uns ja nicht einmal sagen, wo Ihr Sohn ist.«
»Bradley ist gar nicht fähig zu solch einer Gewalttat. Es ist sehr viel wahrscheinlicher, dass ihm Gewalt angetan wird. Ich kenne meinen Jungen.«
»Wirklich?«, fragte Jane. Sie schlug die Akte auf, die sie mitgebracht hatte, und nahm ein Foto heraus, das sie vor ihm auf den Tisch klatschte. Er starrte das groteske Bild einer Tsantsa an, die zugenähten Augen, die durchbohrten Lippen, von denen geflochtene Schnüre herabhingen.
»Sie wissen, wie man so ein Ding nennt, nicht wahr, Mr. Rose?«
Er schwieg. Durch die geschlossene Tür konnten sie das Läuten der Telefone in der Mordkommission und die Stimmen der Detectives hören, doch hier in Marquettes Büro dehnte die Stille sich immer weiter aus.
»So was haben Sie doch sicher schon mal gesehen«, sagte Jane. »Als weitgereister Amateurarchäologe sind Sie bestimmt auch mal in Südamerika gewesen.«
»Das ist eine Tsantsa«, sagte Kimball schließlich.
»Sehr gut. Ihr Sohn hätte die Frage auch beantworten können, oder? Soviel ich weiß, ist er ja mit Ihnen um die ganze Welt gereist.«
»Und das ist alles, was Sie meinem Sohn zur Last legen können? Dass er Archäologe ist?« Er schnaubte verächtlich. »Da müssen Sie sich aber vor Gericht ein bisschen mehr Mühe geben.«
»Was ist mit der Frau, der er nachgestellt hat? Medea Sommer hat in Indio Anzeige gegen ihn erstattet.«
»Na und? Sie hat die Anzeige zurückgezogen.«
»Und erzählen Sie uns doch ein bisschen von diesem privaten Therapieprogramm, das er in Maine absolviert hat. Im Hilzbrich Institute. Soviel ich weiß, ist diese Einrichtung auf eine ganz bestimmte Spielart von schwierigen jungen Männern spezialisiert.«
Er starrte sie an. »Wie zum Teufel haben Sie das…«
»Ich bin auch nicht auf den Kopf gefallen. Auch ich stelle Fragen. Wie ich höre, war dieses Institut sehr exklusiv und sehr spezialisiert. Und sehr diskret. Musste es wohl auch sein, angesichts der Klientel. Also, erzählen Sie doch mal. Hat das Programm bei Bradley etwas bewirkt? Oder hat es ihn nur in Kontakt mit Freunden gebracht, die genauso pervers waren wie er selbst?«
Kimball sah Marquette an. »Ich will, dass sie von dem Fall abgezogen wird – andernfalls hören Sie von meinen Anwälten.«
»Ich spreche von Freunden wie Jimmy Otto«, fuhr Jane fort.
»Erinnern Sie sich an den Namen Jimmy Otto?«
Kimball ignorierte sie und richtete sich weiter an Marquette.
»Muss ich mich an Ihren Polizeipräsidenten wenden? Das werde ich nämlich tun. Ich werde alles tun, was nötig ist, und meine sämtlichen Kontakte einschalten. Lieutenant?«
Marquette schwieg einen Moment. Einen langen Moment, währenddessen Jane erst richtig begriff, wie einschüchternd Kimball Rose sein konnte – nicht nur durch seine physische Präsenz, sondern auch durch seine nur angedeutete Macht. Es war ihr klar, unter welchem Druck Marquette stand, und sie machte sich auf alles gefasst.
Doch Marquette enttäuschte sie nicht. »Es tut mir leid, Mr. Rose«, sagte er. »Detective Rizzoli leitet die Ermittlung, und sie hat hier das Sagen.«
Kimball funkelte ihn wütend an, als könne er nicht glauben, dass zwei einfache Staatsbedienstete ihm die Stirn boten. Mit hochrotem Kopf fuhr er zu ihr herum. »Wegen Ihren Schnüffeleien liegt meine Frau im Krankenhaus. Drei Tage nachdem Sie bei uns waren und nach Bradley gefragt haben, hatte sie einen Zusammenbruch. Ich habe sie gestern hierherfliegen und in die Dana-Farber-Klinik bringen lassen. Sie wird es vielleicht nicht überleben, und daran gebe ich Ihnen die Schuld. Ich werde Sie im Auge behalten, Detective. Sie werden keinen Stein umdrehen können, ohne dass ich davon erfahre.«
»Genau da werde ich Bradley vermutlich finden«, entgegnete Jane. »Unter einem Stein.«
Er stürmte hinaus und knallte die Tür hinter sich zu. »Das«, sagte Marquette, »war keine besonders kluge Bemerkung.«
Sie seufzte und nahm das Foto vom Tisch. »Ich weiß«, gab sie zu.
Wie sicher sind Sie, dass Bradley Rose unser Mann ist?«
»Neunundneunzig Prozent.«
»Sie sollten besser neunundneunzig Komma neun Prozent sicher sein. Sie haben ja gerade mit eigenen Augen gesehen, mit wem wir es zu tun haben. Jetzt, wo seine Frau im Krankenhaus liegt, rastet er vollkommen aus. Er hat das Geld – und die Beziehungen –, um uns allen auf Dauer das Leben zur Hölle zu machen.«
»Soll er doch. Das ändert nichts an
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