Grabkammer
ist gerade mit der Post gekommen. Es ist ein einzelnes Blatt …«
»Nicht so schnell. Ich kann dich kaum verstehen bei dem Verkehrslärm.«
Maura hielt einen Moment inne, um sich zu sammeln, und zwang sich, mit ruhigerer Stimme fortzufahren: »Der Umschlag ist an mich adressiert. Darin steckte ein einzelner Briefbogen, auf dem nur zwei Worte stehen: Finde mich.« Sie atmete einmal tief durch und fügte leise hinzu:
»Das muss er sein.«
»Steht sonst noch irgendetwas auf dem Blatt? Vielleicht auf der Rückseite?«
Maura drehte den Bogen um und runzelte die Stirn. »Da stehen zwei Zahlen auf der anderen Seite.«
Sie hörte wildes Gehupe am anderen Ende der Leitung, gefolgt von einem halblauten Fluch aus Janes Mund. »Hör zu, ich stecke gerade auf der Columbus Avenue im Stau. Bist du zu Hause?«
»Ja.«
»Ich komme, so schnell ich kann. Hast du deinen Computer eingeschaltet?«
»Nein. Wieso?«
»Fahr ihn hoch. Ich will, dass du etwas für mich nachprüfst.
Ich glaube, ich weiß, was das für Zahlen sind.«
»Augenblick.« Mit dem Telefon und dem Brief in der Hand eilte Maura über den Flur ins Wohnzimmer. »Ich fahre ihn gerade hoch«, sagte sie, während der Monitor hell wurde und die Festplatte summend zum Leben erwachte. »Also, was ist nun mit diesen Zahlen?«, fragte sie. »Wofür stehen sie?«
»Ich vermute, dass es sich um geografische Koordinaten handelt.«
»Woher weißt du das?«
»Weil Josephine uns erzählt hat, dass sie genau so einen Brief bekommen habe wie du, mit Zahlen, die sich als die Koordinaten der Blue Hills Reservation entpuppten.«
»Deshalb ist sie also an dem Tag dorthin zum Wandern gegangen?«
»Der Mörder hatte sie dorthin geschickt.«
Die Festplatte hörte auf zu summen. »Okay. Der Computer ist hochgefahren. Was soll ich jetzt tun?«
»Geh auf Google Earth und gib diese Zahlen als Breiten-und Längengrad ein.«
Maura sah noch einmal auf das Blatt, und schlagartig ging ihr die Bedeutung der Worte Finde mich auf. »O Gott«, murmelte sie. »Er lässt uns wissen, wo wir ihre Leiche finden können.«
»Ich will doch schwer hoffen, dass du dich da irrst. Hast du die Zahlen eingegeben?«
»Nein, das mache ich jetzt.« Maura legte das Telefon beiseite und begann zu tippen. Nachdem sie die Zahlen in die Felder für Breiten-und Längengrad eingegeben hatte, begann die Weltkarte auf dem Monitor sich zu verschieben. Sie griff wieder nach dem Telefon und sagte: »Jetzt fängt es an zu zoomen.«
»Was zeigt die Karte?«
»Den Nordwesten der USA. Es ist Massachusetts…«
»Boston?«
»Sieht so aus – nein, warte mal …« Maura riss die Augen auf, als die Details schärfer wurden. Ihre Kehle war plötzlich wie ausgetrocknet. »Es ist in Newton«, sagte sie leise.
»Wo in Newton?«
Maura griff nach der Maus. Mit jedem Klick wurde das Bild ein wenig größer. Sie sah Straßen, Bäume, einzelne Hausdächer. Plötzlich erkannte sie die Nachbarschaft, und ein eiskalter Schauer ließ die Härchen in ihrem Nacken sich aufrichten. »Es ist mein Haus«, flüsterte sie.
»Was?«
»Das sind die Koordinaten von meinem Haus.«
»Mein Gott. Hör zu – ich schicke dir sofort einen Streifenwagen! Ist dein Haus gesichert? Ich will, dass du sofort nachschaust, ob alle Türen abgeschlossen sind. Na los, mach schon!«
Maura sprang auf und lief zur Haustür. Sie war abgeschlossen. Dann eilte sie weiter zur Garagentür – auch abgeschlossen.
Sie wandte sich zur Küche um und erstarrte plötzlich.
Ich habe das Fenster offen gelassen.
Ganz langsam, mit schweißnassen Händen und pochendem Herzen, schlich sie den Flur entlang. Als sie in die Küche trat, sah sie gleich, dass das Fliegengitter unversehrt und alles an Ort und Stelle war. Die geschmolzenen Eiswürfel hatten eine glitzernde Pfütze unter dem Tisch hinterlassen. Sie ging zur Hintertür und vergewisserte sich, dass sie gesichert war. Natürlich war sie das. Vor zwei Jahren war ein Einbrecher in ihr Haus eingedrungen, und seither achtete sie stets peinlich darauf, sämtliche Türen zu verschließen und die Alarmanlage scharf zu stellen. Jetzt schloss sie das Küchenfenster, verriegelte es und versuchte ruhig und gleichmäßig zu atmen, während ihr Puls sich allmählich wieder normalisierte. Es ist doch nur ein Brief, dachte sie. Eine Provokation, die ihr mit der Post zugestellt worden war. Sie drehte sich zum Tisch um und betrachtete den Umschlag, in dem die Botschaft gesteckt hatte.
Da erst fiel ihr auf, dass er keinen
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