Grabkammer
nur das zerstört, was wir hatten.«
»Und was war das?«
Er lächelte. »Sie ist wie ich – wirklich genau wie ich. Drücken Sie uns einen alten Knochensplitter oder eine rostige Klinge in die Hand, und wir spüren beide den lebendigen Puls der Geschichte darin. Das war es, was wir gemeinsam hatten – diese Begeisterung für all das, was vor uns existiert hat. Allein diese Leidenschaft mit ihr teilen zu können hätte mir genug sein sollen.« Er ließ den Kopf hängen und gestand: »Ich habe nicht gewagt, mehr als das zu verlangen. »
»Warum nicht?«
»Weil sie so wunderschön ist«, antwortete er, und er hauchte die Worte wie ein Gebet.
»War das einer der Gründe, weshalb Sie sie eingestellt haben?«
Sie konnte sofort sehen, dass er die Frage als Beleidigung empfand. Seine Züge verhärteten sich, und er straffte den Rücken. »Ich würde nie jemanden aufgrund seiner oder ihrer äußeren Erscheinung einstellen. Meine einzigen Kriterien sind Kompetenz und Erfahrung.«
»Aber Josephine konnte in ihrem Lebenslauf so gut wie keine Erfahrung vorweisen. Sie kam frisch von der Promotion. Sie haben sie als Spezialistin eingestellt, obwohl sie wesentlich geringer qualifiziert war als Sie selbst.«
»Aber ich bin kein Ägyptologe. Deswegen sagte Simon mir, dass er eine Spezialistin hinzuziehen würde. Ich hätte wohl ein bisschen gekränkt sein sollen, aber um ehrlich zu sein, wusste ich selbst, dass ich nicht qualifiziert war, ein Gutachten zu Madam X abzugeben. Ich weiß, wo meine Grenzen sind.«
»Es muss doch qualifiziertere Ägyptologen als Josephine gegeben haben, aus denen Sie einen hätten auswählen können.«
»Die gab es wohl.«
»Sie wissen es nicht?«
»Simon hat die Entscheidung getroffen. Nachdem ich die Stelle ausgeschrieben hatte, bekamen wir Dutzende von Bewerbungen. Ich war gerade dabei, eine Vorauswahl zu treffen, als Simon mir sagte, er habe sich bereits entschieden. Josephine wäre bei mir gar nicht in die engere Wahl gekommen, aber er bestand darauf, dass sie und niemand sonst die Stelle bekommen sollte. Und irgendwie schaffte er es auch, die nötigen Mittel aufzutreiben, um ihr eine Vollzeitstelle anzubieten.«
»Wie meinen Sie das – er schaffte es, die nötigen Mittel aufzutreiben?«
»Wir erhielten eine bedeutende Spende. Mumien haben oft diesen Effekt. Die potenziellen Spender reagieren begeistert und sind viel eher bereit, ihre Brieftaschen zu zücken. Wenn Sie sich so lange in Archäologenkreisen bewegen, wie es bei Simon der Fall war, dann finden Sie mit der Zeit heraus, wo etwas zu holen ist. Sie wissen, wen Sie um Geld angehen können.«
»Aber warum hat er sich für Josephine entschieden? Auf diese Frage komme ich immer wieder zurück. Warum wurde ausgerechnet sie eingestellt, von all den Ägyptologen, all den frisch promovierten Wissenschaftlern, die er hätte haben können?«
»Ich weiß es nicht. Ich war nicht gerade begeistert von seiner Wahl, aber ich hielt es für sinnlos, mit ihm zu streiten, weil ich den Eindruck hatte, dass er sich schon entschieden hatte und ich ihn durch nichts davon abbringen könnte.« Robinson seufzte und sah aus dem Fenster. »Und dann lernte ich sie kennen«, sagte er leise. »Und mir wurde klar, dass ich mit niemandem lieber zusammengearbeitet hätte als mit ihr. Dass ich mit niemandem lieber …« Er verstummte.
In dieser bescheidenen Wohnstraße verstummten die Verkehrsgeräusche nie ganz, aber Robinsons Wohnzimmer schien in einer anderen, vornehmeren Epoche erstarrt zu sein, einer Zeit, in der ein zerstreuter Exzentriker wie Nicholas Robinson vielleicht inmitten seiner Bücher und Karten zufrieden hätte alt werden können. Aber er hatte sich nun einmal verliebt, und seine Züge drückten keine Zufriedenheit aus, nur Angst und Seelenqual.
»Sie lebt«, sagte er. »Das muss ich einfach glauben.« Er sah Jane an. »Sie glauben es doch auch, oder nicht?«
»Ja«, sagte sie, »ich glaube es auch.« Sie wandte den Blick ab, ehe er den Rest ihrer Antwort an ihren Augen ablesen konnte.
Aber ich weiß nicht, ob wir sie retten können.
An diesem Abend aß Maura allein.
Sie hatte ein romantisches Dinner für zwei geplant, und schon am Tag zuvor hatte sie im Lebensmittelgeschäft ihren Wagen mit Kalbshaxen und Knoblauch, mildsäuerlichen Meyer’s-Zitronen und Petersilie beladen, alles Zutaten, die sie für Daniels Leibgericht Ossobuco benötigte. Aber ein einziger Anruf kann die schönsten Pläne eines heimlichen Liebespaares zunichte
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