Grabkammer
verzog.
»Was?«, fragte sie.
»Sieht aus wie irgendein Tier.« Er hielt den Beutel auf, damit sie hineinschauen konnte.
Auf den ersten Blick schien das, was sie da sah, tatsächlich ein dichter, dunkler Pelz zu sein. Doch als ihr klar wurde, was es in Wirklichkeit war, wurden ihre Hände in den Latexhandschuhen kalt wie Eis.
Sie blickte zu dem Polizisten auf. »Das sind Haare«, sagte sie mit gedämpfter Stimme. »Menschenhaare, wenn ich mich nicht irre.«
»Die sind von Josephine«, sagte Jane.
Maura saß an ihrem Küchentisch und starrte auf den Beweismittelbeutel, der mit einer dichten Masse schwarzer Haare gefüllt war. »Das wissen wir nicht«, entgegnete sie.
»Die Farbe passt. Und die Länge auch.« Jane deutete auf den Umschlag, in dem die Botschaft gesteckt hatte. »Er lässt uns praktisch wissen, dass er sie geschickt hat.«
Durch das Küchenfenster sah Maura die Taschenlampen der Leute von der Spurensicherung, die die letzte Stunde damit zugebracht hatten, ihren Garten zu durchkämmen. Und auf der Straße parkten drei Streifenwagen mit flackerndem Blaulicht, während die Nachbarn vermutlich an ihren Fenstern standen und das Spektakel verfolgten. Ich bin die unerwünschte Person in eurer Straße, dachte sie. Die Frau, vor deren Haus regelmäßig Polizeistreifen, Forensikteams und Fernsehübertragungswagen vorfahren. Man hatte sie ihrer Privatsphäre beraubt, hatte ihr Haus zur Kulisse für Fernsehkameras gemacht, und sie hätte am liebsten die Haustür aufgerissen und die Reporter angeschrien, dass sie ihre Straße räumen und sie endlich in Frieden lassen sollten. Und gleich darauf malte sie sich aus, wie das in den Spätnachrichten aussehen würde – die Leiterin der Rechtsmedizin, wie sie vor ihrem Haus hysterisch tobte und schrie.
Der eigentliche Gegenstand ihres Zorns waren jedoch nicht diese Kameras – es war der Mann, dessentwegen sie hier waren. Der Mann, der diese Botschaft geschrieben und dieses Souvenir in ihren Birnbaum gehängt hatte. Sie sah Jane an. »Wieso schickt er mir so etwas? Ich bin doch bloß die Rechtsmedizinerin. Ich bin nur am Rande mit eurer Ermittlung befasst.«
»Aber du warst auch an fast jedem Tatort. Mehr noch, du warst von Anfang an in diesen Fall involviert, schon seit dem CT von Madam X. Man kennt dein Gesicht aus den Fernsehnachrichten.«
»Deins aber auch, Jane. Er hätte auch dem Boston PD ein Souvenir schicken können. Warum kommt er zu mir? Warum hinterlässt er es in meinem Garten?«
Jane setzte sich und sah Maura über den Tisch hinweg an.
»Wenn die Haare an das Bostoner Polizeipräsidium geschickt worden wären, hätten wir den Fall intern und diskret behandelt.
Stattdessen wurden Streifenwagen losgeschickt, und jetzt trampelt die Spurensicherung auf deinem Grundstück herum.
Unser Freund hat das Ganze zu einem öffentlichen Spektakel gemacht.« Sie schwieg einen Moment. »Und vielleicht war genau das seine Absicht.«
»Er genießt die Aufmerksamkeit«, sagte Maura. »Und davon bekommt er jetzt mehr als genug.«
Draußen waren die Kriminaltechniker mit ihrer Suche fertig.
Maura hörte das Schlagen von Autotüren und die Motorengeräusche der abfahrenden Transporter.
»Du hast vorhin eine Frage gestellt«, sagte Jane. »Du hast gefragt: Warum ich? Warum sollte der Mörder ein Souvenir hinter deinem Haus deponieren, anstatt es an die Bostoner Polizei zu schicken?«
»Wir waren uns doch gerade einig, dass sein Wunsch nach Aufmerksamkeit das Motiv ist.«
»Tja, ich kann mir aber auch noch einen anderen Grund vorstellen. Und der wird dir gar nicht gefallen.« Jane schaltete den Laptop ein, den sie aus dem Auto mitgenommen hatte, und ging auf die Website des Boston Globe. »Erinnerst du dich an diesen Artikel über Madam X?«
Auf dem Monitor erschien ein Beitrag aus dem Archiv des Globe: MUMIE SOLL IHRE GEHEIMNISSE BALD PREISGEBEN. Das Foto zum Artikel zeigte Nicholas Robinson und Josephine Pulcillo und zwischen ihnen Madam X in ihrer Kiste.
»Ja, ich habe ihn gelesen«, sagte Maura.
»Dieser Beitrag wurde von den Agenturen verbreitet.
Viele Zeitungen haben ihn übernommen. Wenn unser Täter ihn gesehen hat, dann wusste er, dass Lorraine Edgertons Leiche gerade gefunden worden war. Und dass nach dem CT der Rummel groß sein würde. Und jetzt sieh dir das an.«
Jane klickte eine Datei an, die auf ihrem Computer gespeichert war, und der Monitor füllte sich mit einem Foto. Es war das Porträt einer jungen Frau mit langen schwarzen Haaren
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