Grabkammer
und schlug die erste Seite auf, wo die Patientendaten standen. Jimmys Eltern hießen Howard und Anita Otto, und sie hatten zwei Adressen. Die erste war ihr Hauptwohnsitz in Massachusetts. Die zweite Adresse, die in Maine, war zu einem späteren Zeitpunkt handschriftlich nachgetragen worden.
Frost rief bereits mit seinem Handy im Bostoner Präsidium an. »Könntet ihr mal eben einen Grundbucheintrag für mich überprüfen?«, fragte er, während er über Janes Schulter nach der Adresse schielte. »In Maine, die Gemeinde heißt Saponac.
Adresse: 165 Valley Way.« Kurze Zeit später legte er auf und sah Jane an. »Das Haus gehört dem Evergreen Trust, was immer das ist. Sie rufen zurück, sobald sie Näheres wissen.«
Jane tigerte schon wieder auf und ab, frustriert und ungeduldig. »Das kann nicht so weit von hier sein. Wir könnten einfach mal vorbeifahren und einen Blick riskieren.«
»Die beiden sind schon seit Jahrzehnten unter der Erde.
Das Haus hat seitdem wahrscheinlich schon mehrmals den Besitzer gewechselt.«
»Oder vielleicht gehört es noch der Familie.«
»Warte doch noch einen Moment, ich bekomme sicher gleich diesen Rückruf wegen Evergreen.«
Aber Jane wollte nicht länger warten. Sie war wie ein Rennpferd in der Box, das dem Start entgegenfiebert. »Ich fahre«, erklärte sie und drehte sich zur Kommode um, auf der sie ihre Autoschlüssel abgelegt hatte.
»Lass uns meinen Wagen nehmen«, sagte Frost, der schon an der Tür war. »Wir werden das Navi brauchen.«
»Ich komme auch mit«, sagte Medea.
»Nein«, sagte Tane.
»Sie ist meine Tochter.«
»Genau deswegen müssen Sie sich da raushalten. Damit wir nicht abgelenkt werden.« Tane steckte ihre Waffe ins Holster, und der Anblick dieser Pistole hätte Erklärung genug sein müssen. Das kann verdammt gefährlich werden. Da haben Zivilisten nichts verloren.
»Ich will irgendetwas tun«, beharrte Medea. »Ich muss etwas tun.«
Tane drehte sich um und sah eine wild entschlossene Frau, die darauf brannte, sich in die Schlacht zu stürzen. Aber dies war nicht Medeas Schlacht; es konnte nicht ihre sein.
»Das Beste, was Sie heute Abend tun können, ist, hier in diesem Zimmer zu bleiben«, sagte Tane. »Und die Tür abzuschließen. »
Valley Way war eine einsame, ländliche Straße, so dicht gesäumt von Bäumen, dass von den Häusern nichts zu sehen war.
Die Hausnummer auf dem Briefkasten an der Straße bestätigte ihnen, dass sie an der richtigen Adresse waren, aber alles, was sie in der Dunkelheit sehen konnten, waren die ersten Meter einer kiesbedeckten Zufahrt, die sich im Wald verlor. Tane klappte den Deckel des Briefkastens auf und fand einen feuchten Papierhaufen – alles Wurfsendungen, die An alle Bewohner adressiert waren.
»Falls hier jemand wohnt«, sagte sie, »hat er oder sie den Briefkasten schon länger nicht mehr geleert. Ich glaube nicht, dass jemand zu Hause ist.«
»Dann dürfte auch niemand etwas dagegen haben, wenn wir uns ein bisschen umschauen«, meinte Frost.
Im Schritttempo rollte Frosts Wagen über den knirschenden Kies. Das Laubwerk war so undurchdringlich, dass sie das Haus erst sahen, als sie um eine Kurve bogen und es plötzlich vor ihnen auftauchte. Früher war es vielleicht einmal ein attraktives Ferienhäuschen gewesen, mit Giebeldach und breiter Veranda, doch jetzt war das Fundament von Unkraut umwuchert, und Kletterpflanzen rankten über die Verandabrüstung, als seien sie entschlossen, das Haus und alle, die das Pech hatten, sich darin aufzuhalten, unter sich zu begraben.
»Sieht unbewohnt aus«, sagte Frost.
»Ich steige aus und schaue mich ein bisschen um.« Jane war im Begriff, die Tür zu öffnen, als sie durch das Klirren einer Kette gewarnt wurde – ein Geräusch, so bedrohlich wie das Rasseln einer Klapperschlange.
Und dann kam etwas Schwarzes aus der Dunkelheit auf sie zugeschossen.
Sie schnappte nach Luft und zuckte zurück, als der Pitbull gegen die Beifahrertür krachte. Scharfe Krallen kratzten über das Glas, und im Fenster blitzten weiße Zähne auf. »Scheiße!«, rief sie. »Wo kommt denn der plötzlich her?« Das Gebell des Hundes steigerte sich zur Raserei, und er bearbeitete die Tür mit seinen Krallen, als wollte er das
Blech aufreißen.
»Das gefällt mir gar nicht«, meinte Frost.
Im engen Metallkäfig von Frosts Wagen klang Janes Lachen hysterisch und überdreht. »Ich habe mich auch schon mal besser amüsiert.«
»Nein, ich meine, es gefällt mir nicht, dass der Hund an
Weitere Kostenlose Bücher