Grabkammer
dass sie gut aussieht?«
»Irgendwas an ihr kommt mir nicht ganz astrein vor. Irgendwas scheint da nicht zu stimmen.«
»Sie ist verängstigt. Ihr ganzes Leben ist gerade auf den Kopf gestellt worden. Da würde jeder normale Mensch ausflippen.«
»Und du willst dich gleich als der edle Retter in der Not aufspielen?«
»Ich versuche nur, mich wie ein anständiger Mensch zu benehmen.«
»Erzähl mir doch nicht, dass du dich genauso aufführen würdest, wenn sie potthässlich wäre.«
»Ihr Aussehen hat nichts damit zu tun. Warum willst du mir ständig andere Motive unterstellen?«
Jane seufzte. »Mensch, ich versuche doch nur, dir Ärger zu ersparen, okay? Ich bin dein pflichtbewusstes Kindermädchen, das auf dich aufpasst.« Sie steckte den Zündschlüssel in Schloss und ließ den Motor an. »Wann kommt Alice denn endlich nach Hause? Hat sie ihre Eltern nicht allmählich lange genug gesehen?«
Er warf ihr einen argwöhnischen Blick zu. »Wieso fragst du nach Alice?«
»Sie ist jetzt schon wochenlang weg. Wird es nicht langsam Zeit, dass sie nach Hause kommt?«
Die Reaktion war ein verächtliches Schnauben. »Jane Rizzoli, die Eheberaterin. Das nehm ich dir echt übel, weißt du das?«
»Was?«
»Dass du glaubst, ich könnte mich so vergessen.«
Jane fuhr los und fädelte sich in den Verkehr ein. »Ich dachte nur, ich sollte besser was sagen. Ich bin immer dafür, rechtzeitig einzugreifen, um Ärger zu vermeiden.«
»Ja, klar, die Strategie hat bei deinem Dad ja auch wirklich super funktioniert. Redet er eigentlich wieder mit dir, oder bist du bei ihm endgültig unten durch?«
Bei der Erwähnung ihres Vaters krampften sich Janes Finger so fest um das Lenkrad, als wollte sie es würgen. Nach einunddreißig Jahren scheinbar ungetrübten Eheglücks hatte Frank Rizzoli plötzlich seine Schwäche für billige Blondinen entdeckt. Vor sieben Monaten hatte er Janes Mutter verlassen.
»Ich habe ihm nur gesagt, was ich von seiner Tussi halte.«
Frost lachte. »Genau. Und dann hast du versucht, sie zu verdreschen.«
»Ich habe sie nicht verdroschen. Wir hatten einen Wortwechsel.«
»Du wolltest sie verhaften.«
»Ich hätte ihn verhaften sollen, weil er sich auf seine alten Tage aufgeführt hat wie ein Vollidiot. Es ist so verdammt peinlich.« Sie starrte grimmig auf die Straße. »Und jetzt legt meine Mom es auch noch darauf an, dass ich mich für sie schämen muss.«
»Weil sie einen Freund hat?« Frost schüttelte den Kopf.
»Siehst du – mit deiner Voreingenommenheit wirst du es dir am Ende auch noch mit ihr verderben.«
»Sie benimmt sich wie ein Teenager.«
»Dein Dad hat sie sitzen lassen, und jetzt hat sie einen Freund – na und? Korsak ist echt okay, sollen die zwei doch ihren Spaß haben.«
»Wir haben nicht von meinen Eltern gesprochen. Sondern von Josephine.«
»Du hast von Josephine gesprochen.«
»Irgendetwas an ihr gefällt mir ganz und gar nicht. Ist dir nicht aufgefallen, dass sie einem fast nie in die Augen schaut? Ich glaube, sie konnte es kaum erwarten, uns los zu sein.«
»Sie hat alle unsere Fragen beantwortet. Was willst du denn mehr?«
»Sie hat uns nicht alles gesagt. Mit irgendetwas hält sie noch hinterm Berg.«
»Was soll das denn sein?«
»Ich weiß es nicht.« Jane blickte starr geradeaus. »Aber es würde nicht schaden, ein bisschen mehr über Dr. Pulcillo in Erfahrung zu bringen.«
Von ihrem Straßenfenster aus beobachtete Josephine, wie die beiden Detectives in ihren Wagen stiegen und davonfuhren.
Dann erst öffnete sie ihre Handtasche und nahm ihren Anch-Schlüsselring heraus, den sie an dem Apfelbaum gefunden hatte. Sie hatte der Polizei nicht gesagt, dass diese Schlüssel wieder aufgetaucht waren. Hätte sie es erwähnt, dann hätte sie ihnen auch von der anonymen Nachricht erzählen müssen, die sie zu der Lichtung geführt hatte; von dem Umschlag, der an Josephine Sommer adressiert war. Und Sommer war ein Name, von dem die Polizei niemals erfahren durfte.
Sie raffte die Briefe und die an Josephine Sommer adressierten Kuverts zusammen und zerriss sie. Am liebsten hätte sie damit auch den Teil ihres Lebens in tausend Stücke gerissen, den sie all die Jahre zu vergessen versucht hatte. Irgendwie hatte die Vergangenheit sie eingeholt, und so sehr sie sich auch bemüht hatte, ihr zu entfliehen, sie würde immer ein Teil von ihr sein. Sie trug die Papierschnipsel ins Bad und spülte sie die Toilette hinunter.
Sie konnte nicht in Boston bleiben.
Jetzt war der
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