Grabkammer
Jane um, doch sie wich ihrem Blick aus. Stattdessen richtete sie ihre Aufmerksamkeit auf den Honda. Eine Leiche war immer noch das unverfänglichere Gesprächsthema. Und im Gegensatz zu einem Liebhaber würde sie ihr nicht das Herz brechen, sie nicht enttäuschen oder ihr einsame Nächte bereiten.
»Ich nehme an, die Spurensicherung wird den Kofferraum untersuchen?«, fragte Maura. Schlagartig war ihr Ton wieder rein geschäftsmäßig, und sie schlüpfte in die Rolle der Rechtsmedizinerin, die nur von kühler Logik bestimmt war.
»Wir beschlagnahmen das Fahrzeug. Wann wirst du sie obduzieren?«
»Ich will zuerst ein paar Voruntersuchungen durchführen. Röntgen, Gewebeproben. Ich muss genau wissen, mit welcher Art von Konservierungsprozess ich es zu tun habe, ehe ich sie aufschneide.«
»Also heute keine Autopsie mehr?«
»Nein, erst nach dem Wochenende. Nach dem Aussehen der Leiche zu urteilen, ist sie schon länger tot. Da werden ein paar Tage mehr oder weniger nichts am Ergebnis der Obduktion ändern.« Mauras Blick ging wieder zu Josephine. »Was ist mit Dr. Pulcillo?«
»Wir müssen uns noch weiter mit ihr unterhalten. Wenn wir sie erst mal nach Hause gebracht haben und sie sich etwas Trockenes angezogen hat, wird sie sich vielleicht noch an ein paar weitere Einzelheiten erinnern.«
Josephine Pulcillo ist schon ein komischer Vogel, dachte Jane, als sie mit Frost in der Wohnung der jungen Frau stand und darauf wartete, dass sie wieder aus dem Schlafzimmer herauskam. Die Wohnzimmereinrichtung war im Stil Bettelarme Studentin gehalten. Der Bezug des Bettsofas war von den Krallen einer Phantomkatze zerrupft, und den Couchtisch zierten Kaffeeringe. Die Regale waren mit Lehrbüchern und Fachzeitschriften angefüllt, doch Jane sah keine Fotos, keine persönlichen Erinnerungsstücke, die irgendwelche Rückschlüsse auf den Charakter der Bewohnerin zugelassen hätten. Auf dem Computermonitor drehten sich als Bildschirmschoner Aufnahmen ägyptischer Tempel in einer Endlosschleife.
Als Josephine schließlich auftauchte, war ihr feuchtes Haar in einem Pferdeschwanz gebändigt. Obwohl sie eine frische Jeans und einen Baumwollpulli trug, sah sie immer noch verfroren aus, und ihre Miene war starr wie die einer Steinskulptur – die Statue einer ägyptischen Königin vielleicht oder irgendeiner mythischen Schönheit. Frost gaffte sie so ungeniert an, als wäre gerade eine Göttin ins Zimmer getreten. Wäre Alice, seine Frau, hier gewesen, sie hätte ihm vielleicht den unauffälligen Tritt vors Schienbein versetzt, den er dringend nötig zu haben schien. Vielleicht sollte ich es stellvertretend für Alice tun.
»Geht es Ihnen jetzt besser, Dr. Pulcillo?«, fragte er.
»Brauchen Sie noch etwas Zeit, bevor wir uns über diese Sache unterhalten?«
»Ich bin bereit.«
»Vielleicht eine Tasse Kaffee, ehe wir anfangen?«
»Ich koche Ihnen einen.« Josephine drehte sich zur Küche um.
»Nein, ich dachte an Sie. Ob Sie irgendetwas brauchen.«
»Frost,« fuhr Jane dazwischen, »sie hat gerade gesagt, dass sie bereit ist, mit uns zu reden. Also, warum setzen wir uns nicht einfach alle hin und fangen an?«
»Ich wollte mich nur vergewissern, dass ihr nichts fehlt. Das ist alles.«
Frost und Jane nahmen auf der ramponierten Couch Platz. Eine kaputte Feder piekste Jane durch das Polster hindurch, und sie rutschte ein Stück zu Seite, sodass zwischen ihr und Frost eine große Lücke klaffte. Jetzt saßen sie jeder an einem Ende der Couch, wie ein zerstrittenes Paar bei der Eheberatung.
Josephine ließ sich auf einen Sessel sinken, ihre Miene unergründlich wie eine Onyx-Maske. Sie mochte erst sechsundzwanzig sein, doch sie war auf geradezu unheimliche Weise distanziert, und wenn sie überhaupt irgendetwas empfand, dann hielt sie ihre Emotionen sorgfältig unter Verschluss. Irgendetwas stimmt hier nicht, dachte Jane. War sie die Einzige, die das so empfand? Frost jedenfalls schien jede Objektivität abhandengekommen zu sein.
»Um noch einmal auf diese Schlüssel zurückzukommen, Dr. Pulcillo«, begann Jane. »Sie sagten, dass Sie sie seit über einer Woche vermissen?«
»Als ich letzten Mittwoch nach Hause kam, konnte ich meinen Schlüsselbund nicht in meiner Handtasche finden. Ich dachte, ich hätte ihn vielleicht auf der Arbeit liegen lassen, aber dort konnte ich ihn auch nirgends finden. Sie können Mr. Goodwin fragen. Er hat mir fünfundvierzig Dollar für das Auswechseln des Briefkastenschlosses berechnet.«
»Und der
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