Grabkammer
hinauf und tauchte aus dem Graben auf. »Ist das nicht ein herrliches Fleckchen Erde?«, meinte er und ließ den Blick durch das Tal schweifen, wo die Landschaft mit uralten Ruinen übersät war. »Dieser Canyon war einmal eine Kultstätte, ein Ort für heilige Rituale. Haben Sie den Park schon besichtigt?«
»Nein, leider nicht«, erwiderte Jane. »Wir sind heute erst in Albuquerque gelandet.«
»Sie machen die weite Reise aus Boston hierher und wollen sich nicht den Chaco Canyon anschauen? Eine der großartigsten Ausgrabungsstätten im ganzen Land?«
»Unsere Zeit ist begrenzt, Professor Quigley. Wir sind Ihretwegen hier.«
Er schnaubte. »Dann schauen Sie sich einfach nur um, denn diese Ausgrabung hier ist mein Leben. Ich habe vierzig Jahre lang jede Saison in diesem Canyon verbracht, wann immer ich keine Lehrverpflichtungen hatte. Jetzt, da ich emeritiert bin, kann ich mich ganz dem Graben widmen.«
»Dem Graben nach Müll«, meinte Jane.
Quigley lachte. »Genau. So könnte man es wohl sehen.«
»Ist das die Grabung, an der auch Lorraine Edgerton teilgenommen hat?«
»Nein, wir waren da drüben, auf der anderen Seite des Canyons.« Er wies in die Richtung einer verstreuten Gruppe von steinernen Ruinen in der Ferne. »Ich habe mit einem Team von Studenten gearbeitet, sowohl jüngere Semester als auch Doktoranden. Manche waren wirklich ernsthaft an Archäologie interessiert, aber anderen ging es nur um die Scheine. Oder darum, sich zu amüsieren und vielleicht ein bisschen rumzuvögeln.«
Das war ein Wort, das sie aus dem Mund eines Achtundsiebzigjährigen nicht erwartet hätte, aber schließlich war dies auch ein Mann, der die meiste Zeit seines Berufslebens Seite an Seite mit sexhungrigen Collegestudenten gelebt und gearbeitet hatte.
»Erinnern Sie sich an Lorraine Edgerton?«, fragte Frost.
»O ja. Gewiss erinnere ich mich an sie, nach dem, was damals passiert ist. Sie war eine meiner Doktorandinnen. Absolut engagiert und hart im Nehmen; einfach nicht unterzukriegen. Auch wenn sie damals versucht haben, mir die Schuld an dem, was mit Lorraine passiert ist, in die Schuhe zu schieben – ich sage nach wie vor: Sie war durchaus in der Lage, auf sich selbst aufzupassen.«
»Wer wollte Ihnen die Schuld in die Schuhe schieben?«
»Ihre Eltern. Sie war ihr einziges Kind, und sie waren am Boden zerstört. Da ich die Ausgrabung leitete, dachten sie natürlich, ich sollte dafür zur Verantwortung gezogen werden. Sie haben die Universität verklagt, aber das hat ihnen ihre Tochter auch nicht wieder zurückgebracht. Am Ende war es wahrscheinlich der Auslöser für den Herzinfarkt ihres Vaters. Ihre Mutter starb wenige Jahre später.« Er schüttelte den Kopf. »Es war unbegreiflich, wie die Wüste dieses Mädchen ganz einfach verschluckte. Eines Nachmittags winkt sie uns zum Abschied zu, fährt mit ihrem Motorrad davon und verschwindet spurlos.« Er sah Jane an. »Und jetzt ist ihre Leiche in Boston aufgetaucht, sagen Sie?«
»Aber wir glauben, dass sie hier in New Mexico ermordet wurde.«
»Vor so vielen Jahren. Und jetzt erfahren wir endlich die Wahrheit.«
»Nicht die ganze Wahrheit. Deswegen sind wir hier.«
»Damals wurden wir von einem Detective vernommen. Ich glaube, er hieß McDonald oder so ähnlich. Haben Sie mit ihm gesprochen?«
»Sein Name war McDowell. Er ist vor zwei Jahren gestorben, aber wir haben seine ganzen Unterlagen.«
»Oje. Und er war auch noch jünger als ich. Sie waren alle jünger als ich, und jetzt sind sie alle tot. Lorraine. Ihre Eltern.« Er fixierte Jane mit seinen wasserblauen Augen. »Und hier bin ich, immer noch gesund und munter. Man steckt einfach nicht drin, was?«
»Professor Quigley, ich weiß, es ist lange her, aber wir möchten, dass Sie sich diesen Sommer noch einmal ins Gedächtnis rufen. Erzählen Sie uns von dem Tag, an dem sie verschwand. Und von den Studenten, die damals mit Ihnen gearbeitet haben.«
»Detective McDowell hat jeden befragt, der damals hier bei der Grabung dabei war. Sie müssen doch seine Berichte gelesen haben.«
»Aber Sie haben die Studenten persönlich gekannt. Sie müssen doch auch eine Art Feldtagebuch geführt haben. Ein Protokoll der Grabung.«
Professor Quigley musterte Frost, dessen Gesicht inzwischen scharlochrot glühte, mit besorgter Miene. »Junger Mann, ich sehe schon, dass Sie sich in dieser Hitze nicht mehr lange auf den Beinen halten werden. Warum reden wir nicht einfach in meinem Büro im Gebäude der
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