Grabkammer
Asphalt.
Sie war noch nie in New Mexico gewesen, und auch die Wüste kannte sie noch nicht. Aber sie achtete kaum auf die Landschaft, die draußen vorbeizog; ihr war in diesem Moment nur eines wichtig – den Riss zu kitten, der sich zwischen ihnen aufgetan hatte. Und das ging nur, wenn sie sich aussprachen, ob es Frost nun passte oder nicht.
»Du bist nicht der Einzige, der davon überrascht war«, sagte Jane. »Dr. Robinson hat nichts geahnt. Du hättest sein Gesicht sehen sollen, als ich ihm gesagt habe, dass sie eine Schwindlerin ist. Wenn sie in einem so grundlegenden Punkt wie ihrem eigenen Namen nicht die Wahrheit gesagt hat, was war dann noch alles gelogen? Eine Menge Leute sind auf sie reingefallen, auch ihre Professoren am College.«
»Aber nicht du. Du hast sie durchschaut.«
»Ich hatte bei ihr einfach ein komisches Gefühl, das ist alles.«
»Schnüfflerinstinkt.«
»Ja, das wird’s sein.«
»Und wo ist dann meiner abgeblieben?«
Jane lachte. »Da war wohl ein anderer Instinkt am Werk. Sie ist hübsch, sie ist verängstigt, und peng! – schon ist’s passiert. Der Pfadfinder in dir will sie retten.«
»Wer auch immer sie sein mag.«
Die Antwort kannten sie noch nicht; sie wussten nur, dass sie nicht die wahre Josephine Pulcillo war, die vor vierundzwanzig Jahren gestorben war, mit gerade einmal zwei Jahren. Und doch hatte es dieses tote Mädchen Jahre später fertig gebracht, das College zu besuchen und anschließend ein Aufbaustudium zu absolvieren. Sie hatte es fertig gebracht, ein Konto zu eröffnen, den Führerschein zu erwerben und einen Job in einem obskuren Bostoner Museum zu ergattern. Das Kind war in Gestalt einer anderen Frau wiederauferstanden, deren wahre Herkunft ein Rätsel blieb.
»Ich kann nicht glauben, dass ich so ein Volltrottel war«, sagte er.
»Willst du meinen Rat hören?«
»Nicht wirklich.«
»Ruf Alice an. Sag ihr, sie soll nach Hause kommen. Das war nämlich ein Teil des Problems. Deine Frau war weg, und du hast dich einsam gefühlt. Das hat dich anfällig gemacht. Dann taucht ein hübsches Mädchen auf der Bildfläche auf, und plötzlich denkst du nicht mehr mit deinem Gehirn, sondern mit einem anderen Körperteil.«
»Ich kann ihr nicht einfach befehlen, nach Hause zu kommen.«
»Sie ist doch deine Frau, oder nicht?«
Er schnaubte abfällig. »Das möchte ich mal sehen, wie Gabriel dir vorzuschreiben versucht, was du zu tun und zu lassen hast. Das wäre kein erfreulicher Anblick.«
»Mit mir kann man durchaus vernünftig reden und mit Alice sicher auch. Sie ist einfach schon zu lange bei ihren Eltern, und du brauchst sie jetzt. Ruf sie doch an.«
Frost seufzte. »Der Fall ist leider ein bisschen komplizierter.«
»Wie meinst du das?«
»Alice und ich – na ja, wir haben schon länger Probleme. Seit sie dieses Jurastudium angefangen hat, komme ich irgendwie nicht mehr an sie ran. Es ist, als ob sie sich gar nicht mehr dafür interessiert, was ich zu sagen habe. Sie verbringt ihre Tage mit ihren neunmalklugen Professoren, und wenn sie nach Hause kommt – worüber sollen wir da noch reden?«
»Vielleicht über deinen Arbeitstag?«
»Na klar. Ich erzähle ihr von unserer letzten Festnahme, und sie fragt mich, ob dabei Polizeibrutalität im Spiel war.«
»O Mann – sie hat sich mit den Mächten der Finsternis verbündet?«
»Sie denkt, dass wir die Mächte der Finsternis sind.« Er sah sie von der Seite an. »Du bist ein Glückspilz, weißt du das?
Gabriel ist einer von uns. Er kapiert, worum es bei unserer Arbeit geht.«
Ja, sie war ein Glückspilz; sie war mit einem Mann verheiratet, dem die Probleme und Herausforderungen der Polizeiarbeit nicht fremd waren. Aber sie wusste, wie schnell selbst eine scheinbar gute Ehe scheitern konnte. Letzte Weihnachten hatte sie mit angesehen, wie die Ehe ihrer Eltern bei einem einzigen Abendessen in die Brüche gegangen war. Sie hatte erlebt, wie eine dahergelaufene Blondine ihre Familie auseinandergerissen hatte. Und sie wusste, dass auch Barry Frosts Ehe jetzt kurz vor dem Scheitern stand.
»Meine Mom veranstaltet demnächst wieder ihren alljährlichen Nachbarschafts-Grillabend«, sagte sie. »Vince Korsak wird auch da sein, das wird also ein Wiedersehen mit dem alten Team. Komm doch einfach vorbei, wie wär’s?«
»Ist das so eine Art Mitleidseinladung?«
»Ich wollte dich sowieso fragen. Ich habe dich schließlich schon öfter eingeladen, aber du hast ja fast immer abgesagt.«
Er seufzte. »Das war
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