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Grabkammer

Grabkammer

Titel: Grabkammer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tess Gerritsen
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ausgebreitet. Die beiden anderen Studenten auf dem Foto waren von etwas abgelenkt, aber Bradley starrte unverwandt in die Kamera, als ob er eine exotische Kreatur studierte, die er noch nie zuvor gesehen hatte. Er wirkte in fast jeder Hinsicht vollkommen normal: durchschnittliches Gewicht, ein wenig einprägsames Gesicht eine irgendwie anonyme Erscheinung, die man in einer Menschenmenge leicht übersehen würde. Nur seine Augen waren markant. Sie erinnerten Jane dar an, wie sie einmal bei einem Zoobesuch durch einen Zaun einen Timberwolf erblickt hatte, dessen helle Augen mit irritierendem Interesse auf ihr geruht hatten.
    »Hat die Polizei diesen Mann je vernommen?«, fragte Jane.
    »Er hat uns zwei Wochen vor ihrem Verschwinden verlassen. Es gab keinen Grund, weshalb sie ihn befragen sollten.«
    »Aber er hatte sie gekannt. Sie hatten zusammen bei der Ausgrabung mitgearbeitet.«
    »Ja.«
    »Hätte ihn das nicht für die Polizei interessant machen müssen?«
    »Es hätte nichts gebracht. Seine Eltern sagten, er sei zu der fraglichen Zeit bei ihnen zu Hause in Texas gewesen. Ein wasserdichtes Alibi, will mir scheinen.«
    »Können Sie sich erinnern, warum er die Ausgrabung verließ?«, fragte Frost. »War irgendetwas passiert? Kam er mit den anderen Studenten nicht klar?«
    »Nein, ich glaube, es lag daran, dass er sich hier langweilte.
    Deswegen hat er sich für dieses Praktikum in Boston entschieden. Ich habe mich darüber geärgert, weil ich einen anderen Studenten genommen hätte, wenn ich gewusst hätte, dass Bradley das hier nicht durchziehen würde.«
    »Boston?«, unterbrach ihn Jane.
    »Ja.«
    »Wo hat er dieses Praktikum gemacht?«
    »In irgendeinem Privatmuseum. Ich bin sicher, sein Vater hat da seine Beziehungen spielen lassen, um ihm den Platz zu verschaffen.«
    »War es das Crispin Museum?«
    Professor Quigley dachte eine Weile darüber nach. Dann nickte er. »Das könnte es gewesen sein.«
    Jane hatte schon gehört, dass Texas groß sei, aber als Kind Neuenglands machte sie sich keine rechte Vorstellung davon, was groß wirklich hieß. Und sie hatte sich auch nicht vorstellen können, wie grell die Sonne von Texas war oder wie heiß die Luft werden konnte – wie der Atem eines Drachens. Die dreistündige Fahrt vom Flughafen führte sie meilenweit durch trockenes Buschland, durch eine ausgedörrte Landschaft, in der selbst die Rinder anders aussahen als bei ihr zu Hause – hochbeinig und bösartig, ganz anders als die friedlichen Guernsey-Kühe, die sie von den idyllischen Bauernhöfen in Massachusetts kannte. Das hier war ein fremdes Land, ein durstiges Land, und sie nahm wie selbstverständlich an, dass das Anwesen der Roses genauso aussehen würde wie die staubigen Ranches, an denen sie unterwegs vorbeigekommen waren: niedrige, weit verstreute Gebäude, mit weißen Einfriedungen, die sich um die ausgedörrten Ländereien zogen.
    Umso größer war ihre Überraschung, als die Villa plötzlich vor ihnen aufragte.
    Sie stand auf einem üppig bepflanzten Hügel, dessen frisches Grün inmitten der endlosen Strauchwüste geradezu schockierend wirkte. Der Rasen fiel sanft vom Haus zur Straße ab, wie eine Schürze aus grünem Samt. In einer Koppel mit weißem Zaun weideten ein halbes Dutzend Pferde mit glänzendem Fell.
    Doch es war das Haus selbst, das Janes Blick gefangen hielt.
    Sie hatte eine Ranch erwartet, nicht dieses steinerne Schloss mit seinen Zinnentürmchen.
    Sie fuhren bis zu dem wuchtigen Eisentor und blickten staunend zum Haus auf.
    »Wie viel schätzt du?«, fragte sie.
    »Dreißig Millionen, würde ich sagen«, erwiderte Frost.
    »Mehr nicht? Das sind doch gut und gerne zwanzigtausend Hektar.«
    »Ja, aber wir sind hier in Texas. Da müssten die Grundstückspreise doch niedriger sein als bei uns.«
    Wenn dreißig Millionen Dollar sich schon nach wenig anhören, dachte Jane, dann weiß man, dass man in einer anderen Welt gelandet ist.
    Eine Stimme tönte aus der Gegensprechanlage: »Sie wünschen?«
    »Detective Rizzoli und Detective Frost vom Boston PD.
    Wir möchten Mr. und Mrs. Rose sprechen.«
    »Werden Sie von Mr. Rose erwartet?«
    »Ich habe heute Morgen mit ihm telefoniert. Er sagte, er würde uns empfangen.«
    Es war eine ganze Weile still, dann schwang das Tor endlich auf. »Fahren Sie bitte durch.«
     
    Die geschwungene Zufahrt führte sie den Hügel hinauf, vorbei an einer Kolonnade aus Zypressen und römischen Statuen.
    Auf einer Steinterrasse stand ein Kreis aus abgebrochenen

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