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Grabkammer

Grabkammer

Titel: Grabkammer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tess Gerritsen
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des Erdgeschosses. Die Haustür stand weit offen. Sie stürzte darauf zu und stolperte hinaus auf die Veranda, wo Glasscherben sich in ihre Fußsohlen bohrten. Doch sie registrierte den Schmerz kaum; ihre Aufmerksamkeit war auf die Auffahrt vor ihr gerichtet.
    Und auf die Schritte hinter ihr, die immer näher kamen. Sie sprang die Verandastufen hinunter, und ihr Nachthemd flatterte wie Flügel in der warmen Nachtluft, als sie in heller Panik die Auffahrt hinunterrannte. Im Mondlicht, auf dieser offenen Kiesfläche, war ihr Nachthemd weithin sichtbar wie eine weiße Flagge, doch sie bog nicht ab in Richtung Waldrand, verschwendete keine Zeit darauf, zwischen den Bäumen Deckung zu suchen. Vor ihr lag die Straße, lagen andere Häuser. Wenn ich an die Türen hämmere und schreie, wird irgendjemand mir schon helfen. Sie hörte die Schritte ihres Verfolgers nicht mehr, nur das panische Zischen ihres Atems, das Rauschen der Nachtluft.
    Und dann einen scharfen Knall.
    Die Kugel traf sie wie ein brutaler Tritt von hinten ins Bein.
    Sie fiel der Länge nach hin, und der Kies schürfte ihre Handflächen auf. Warmes Blut rann ihr die Wade hinunter, als sie sich aufzurichten versuchte, doch sofort knickte ihr Bein weg.
    Mit einem erstickten Schmerzensschrei sank sie auf die Knie.
    Die Straße. Die Straße ist so nahe.
    Leise schluchzend begann sie, auf allen vieren zu kriechen.
    Geradeaus, hinter den Bäumen, war die Außenbeleuchtung eines Nachbarhauses zu erkennen, und das war es, worauf sie ihre ganze Aufmerksamkeit konzentrierte. Nicht auf das Knirschen der Schritte, die wieder näher kamen, nicht auf die Steinchen, die in ihre Haut schnitten. Ihre Überlebenschancen hatten sich auf dieses einsame Licht reduziert, das wie ein Leuchtfeuer durch die Zweige schimmerte. Unbeirrt schleppte sie sich darauf zu und zog ihr verletztes Bein nach, das eine glitzernde Blutspur hinterließ.
    Ein Schatten schob sich vor sie und verdeckte das Licht.
    Langsam hob sie den Blick. Er stand vor ihr und versperrte ihr den Weg. Sein Gesicht war ein schwarzes Oval, seine Augen unergründlich. Als er sich zu ihr herabbeugte, schloss sie die Augen, wartete auf den Knall der Pistole, den Aufschlag der Kugel. Nie zuvor hatte sie ihr pochendes Herz so bewusst wahrgenommen, nie hatte sie den Luftstrom ihres Atems so bewusst gehört wie in der Stille dieses letzten Augenblicks. Eines Augenblicks, der sich endlos zu dehnen schien, so, als wolle ihr Mörder seinen Triumph auskosten und ihre Qualen verlängern.
    Durch die geschlossenen Lider nahm sie ein Flackern wahr.
    Sie schlug die Augen auf. Hinter den Bäumen pulsierte ein blaues Licht. Ein Scheinwerferpaar schwenkte plötzlich auf sie zu, und sie war in dem grellen Lichtkegel gefangen, am Boden kniend in ihrem jämmerlich dünnen Nachthemd. Kies spritzte von den schlitternden Reifen auf, als der Wagen abbremste.
    Dann wurde die Tür aufgestoßen, und sie hörte das Knacken und Rauschen eines Polizeifunkgeräts.
    »Miss? Sind Sie okay, Miss?«
    Sie blinzelte, versuchte herauszufinden, wer sie angesprochen hatte. Doch die Stimme verhallte, die Scheinwerfer verloschen, und das Letzte, was sie registrierte, war der harte Kies an ihrer Wange, als sie kraftlos zusammensackte.
    Frost und Jane standen in Gemma Hamertons Einfahrt und starrten auf die Spur aus getrocknetem Blut, die Josephine hinterlassen hatte, als sie sich mit letzter Kraft in Richtung Straße geschleppt hatte. Über ihren Köpfen zwitscherten Vögel, und die Strahlen der Sommersonne fielen durch das Laubdach, doch zu diesem schattigen Abschnitt der Einfahrt schien keine Wärme durchzudringen.
    Jane drehte sich um und betrachtete das Haus, das sie und Frost noch nicht betreten hatten. Es war ein ganz normales Wohnhaus mit weißen Schindeln und überdachter Veranda, wie sie entlang dieser ländlichen Straße schon einige gesehen hatte. Doch sogar von dieser Stelle in der Einfahrt aus konnte sie das zerbrochene Verandafenster sehen, in dessen gezackten Glasresten sich die Sonnenstrahlen brachen, und dieser helle Lichtreflex war wie eine Warnung: Hier ist etwas Schreckliches passiert. Etwas, dessen Anblick dir noch bevorsteht.
    »Hier ist sie zum ersten Mal gestürzt«, sagte Detective Mike Abbott. Er deutete auf die Stelle, wo die blutige Spur anfing.
    »Sie war schon ein gutes Stück in Richtung Straße vorangekommen, als der Schuss sie traf. Hier ist sie hingefallen und hat sich dann weitergeschleppt. Es muss sie verdammt viel Willenskraft

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