Grabkammer
lassen und ist zuerst in Miss Hamertons Zimmer gegangen.«
Abbott holte noch einmal Luft und ging weiter zum großen Schlafzimmer. Dort blieb er auf der Schwelle stehen, als zögerte er einzutreten.
Als Jane an ihm vorbei ins Zimmer spähte, wusste sie, warum.
Gemma Hamertons Leiche war zwar längst abtransportiert worden, doch ihre letzten Sekunden auf dieser Erde waren in den dunkelroten Flecken an den Wänden, auf den Laken und auf den Möbeln hinreichend dokumentiert. Als Jane das Zimmer betrat, spürte sie einen eiskalten Hauch auf der Haut, als wäre ein Geist vorübergeschwebt. Gewalt hinterlässt ihre Spuren, dachte sie. Nicht nur in Form von Blutflecken – nein, auch in der Atmosphäre eines Raums.
»Sie lag zusammengesunken dort hinten in der Ecke«, erklärte Abbott. »Aber Sie können am Muster der Blutflecken erkennen, dass ihr die tödliche Verletzung irgendwo nahe dem Bett beigebracht wurde. Dort am Kopfbrett sind Blutspritzer zu erkennen.« Er deutete auf die Wand zur Rechten. »Und das da drüben sind, glaube ich, Tropfen von der Klinge des Messers.«
Jane riss sich vom Anblick der blutgetränkten Matratze los und betrachtete den Bogen aus eckig geformten Tröpfchen, zustande gekommen durch die Zentrifugalkraft, als der Mörder das blutige Messer mit Schwung aus dem Körper des Opfers gezogen hatte. »Er ist Rechtshänder«, sagte sie.
Abbott nickte. »Unser Rechtmediziner meint, die Wunde lasse keinerlei Zögern und keine Probeschnitte erkennen. Der Täter hat mit einer einzigen glatten Bewegung sämtliche wichtigen Gefäße im Hals des Opfers durchtrennt. Der Rechtsmediziner schätzt, dass sie vielleicht noch ein oder zwei Minuten bei Bewusstsein war. Lange genug, um nach dem Telefon zu greifen und sich in die Ecke dort zu schleppen. Auf dem Hörer waren ihre blutigen Fingerabdrücke, daher wissen wir, dass sie schon verletzt war, als sie die Notrufnummer wählte.«
»Dann hat also der Täter den Hörer aufgelegt?«, fragte Frost.
»Ich nehme es an.«
»Aber Sie sagten doch, die Leitstelle hätte versucht, zurückzurufen, und da sei der Anschluss besetzt gewesen.«
Abbott dachte einen Moment nach. »Ja, das ist schon ein wenig merkwürdig, nicht wahr? Zuerst legt er auf, dann nimmt er den Hörer wieder ab. Ich frage mich, was er damit bezweckte.«
»Er wollte verhindern, dass es klingelt«, sagte Jane. »Wegen des Lärms?«, fragte Frost.
Jane nickte. »Das würde auch erklären, warum er bei diesem Opfer nicht seine Schusswaffe benutzte. Weil er wusste, dass noch jemand im Haus war – und er wollte sie nicht wecken.«
»Aber sie ist aufgewacht«, warf Abbott ein. »Vielleicht hatte sie den Sturz gehört. Vielleicht konnte Ms. Hamerton noch einen Schrei ausstoßen. Was auch immer es war, irgendetwas hat Ms. Pulcillo geweckt, denn sie kam in dieses Zimmer. Sie sah den Eindringling – und rannte los.«
Jane starrte in die Ecke, in der Gemma Hamerton gestorben war, zusammengesunken in einer Lache ihres eigenen Bluts.
Sie verließ das Schlafzimmer und ging über den Flur zurück bis zu Josephines Tür. Dort blieb sie stehen und betrachtete das Bett. Der Mörder ist an dieser Tür vorbeigegangen, dachte sie.
Eine junge Frau schläft in dem Zimmer, und ihre Tür ist nicht abgeschlossen. Dennoch geht er vorüber und setzt seinen Weg zum großen Schlafzimmer fort. Wusste er nicht, dass ein Gast im Haus war? War ihm nicht bewusst, dass sich noch eine zweite Frau im Haus aufhielt?
Doch. Doch, das war ihm sehr wohl bewusst. Deshalb nahm er den Hörer ab. Deshalb benutzte er ein Messer und nicht seine Pistole. Er wollte, dass der erste Mord sich lautlos vollzog.
Weil er sich anschließend in Josephines Zimmer schleichen wollte.
Sie stieg die Treppe hinunter und trat vor die Haustür. Es war ein sonniger Nachmittag, das Summen der Insekten erfüllte die heiße, windstille Luft, und doch saß ihr die Kälte des Hauses noch in den Knochen. Sie ging die Verandastufen hinunter.
Du hast sie verfolgt, über die Treppe nach unten. In einer mondhellen Nacht dürfte es kein Problem gewesen sein, sie im Auge zu behalten. Eine hilflose junge Frau im Nachthemd.
Langsam schritt sie die Einfahrt ab, folgte dem Weg, den Josephine bei ihrer Flucht genommen hatte, mit ihren von Glasscherben zerschnittenen Sohlen. Die Hauptstraße war gleich dort hinter den Bäumen, und die junge Frau musste nur eines der Nachbarhäuser erreichen. Schreien und mit den Fäusten an eine Tür hämmern.
Jane hielt inne, den
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