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Grabkammer

Grabkammer

Titel: Grabkammer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tess Gerritsen
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Blick auf den blutbefleckten Kies gesenkt.
    Aber hier traf die Kugel sie ins Bein, und sie stürzte. Langsam folgte sie der Blutspur, die Josephine hinterlassen hatte, als sie sich auf Händen und Knien in Richtung Straße geschleppt hatte. Mit jedem Zentimeter, den sie vorankam, musste ihr klar gewesen sein, dass er dicht hinter ihr war, dass es nur eine Frage der Zeit war, wann er den tödlichen Schuss abfeuern würde.
    Die Blutspur schien sich endlos hinzuziehen, bis sie gut zehn Meter vor der Straße plötzlich abbrach. Ein langer und qualvoller Weg für die Angeschossene, die sich mit letzter Kraft vorwärts geschleppt hatte – was dem Mörder reichlich Zeit gab, sie einzuholen. Mit Sicherheit genug Zeit, um ein letztes Mal abzudrücken und vom Tatort zu fliehen.
    Doch er hatte den tödlichen Schuss nicht abgefeuert.
    Jane blieb stehen und starrte auf die Stelle, an der Josephine gekniet hatte, als die Streifenpolizisten sie entdeckten. Bei ihrem Eintreffen hatten sie niemanden sonst gesehen, nur die verletzte Frau. Eine Frau, die eigentlich tot sein müsste.
    Da erst begriff Jane. Der Mörder wollte sie lebend.
     
    Jeder Mensch lügt, dachte Jane. Aber den wenigsten gelang es, sich so komplett und so erfolgreich in ihrem Lügengebäude einzurichten, wie Josephine Pulcillo es getan hatte.
    Während sie mit Frost zum Krankenhaus fuhr, fragte sie sich, welche Fantasiegeschichten Josephine ihnen heute auftischen würde, mit welchen neuen Märchen sie die unbestreitbaren Tatsachen aus ihrer Vergangenheit, die sie aufgedeckt hatten, abzutun versuchen würde. Und sie fragte sich, ob Frost sich wieder einmal von diesen Lügen würde einwickeln lassen.
    »Ich finde, du solltest das Reden diesmal besser mir überlassen«, meinte sie.
    »Wieso?«
    »Ich würde das nun mal lieber selbst übernehmen.«
    Er sah sie an. »Gibt es irgendeinen bestimmten Grund, weshalb du das für nötig hältst?«
    Sie nahm sich Zeit für ihre Erwiderung, denn sie konnte die Frage nicht wahrheitsgemäß beantworten, ohne den Riss zwischen ihnen zu vertiefen – einen Riss, an dem Josephine schuld war. »Ich finde nun mal, dass ich sie übernehmen sollte. Schließlich hatte ich bei ihr genau den richtigen Riecher.«
    »Riecher? So nennst du das also?«
    »Du hast ihr vertraut. Ich nicht. Ich hatte recht, was sie betraf, oder etwa nicht?«
    Er drehte den Kopf zum Fenster. »Oder du warst einfach nur eifersüchtig.«
     
    »Was?« Sie bog auf den Krankenhausparkplatz ein und stellte den Motor ab. »Glaubst du das wirklich?« Er seufzte.
    »Ach, ist doch egal.«
    »Nein, sag schon. Was hast du damit gemeint?«
    »Nichts.« Er stieß die Autotür auf. »Gehen wir«, sagte er. Sie stieg aus, knallte ihre Tür zu und fragte sich, ob nicht ein Quäntchen Wahrheit in dem steckte, was Frost gerade gesagt hatte. Sie fragte sich, ob die Tatsache, dass sie selbst keine Schönheit war, sie mit einem heimlichen Groll auf diejenigen Frauen erfüllte, deren gutes Aussehen ihnen sämtliche Türen öffnete. Die Männer lagen attraktiven Frauen zu Füßen, sie lasen ihnen jeden Wunsch von den Augen ab, und – was das Wichtigste war – sie hörten ihnen zu. Und wir anderen müssen uns irgendwie durchschlagen. Nun gut, vielleicht war sie tatsächlich eifersüchtig, aber das änderte nichts an der entscheidenden Tatsache, dass sie den richtigen Riecher gehabt hatte.
    Josephine Pulcillo war eine Schwindlerin.
    Schweigend betraten sie und Frost das Krankenhaus, schweigend fuhren sie mit dem Aufzug hinauf in die Chirurgie. Nie zuvor hatte sie eine solche Kluft zwischen ihnen verspürt. Obwohl sie Seite an Seite gingen, war es, als lägen Kontinente zwischen ihnen, und sie sah ihn nicht ein einziges Mal an, als sie den Flur entlangschritten. Mit grimmiger Miene stieß Jane die Tür von Zimmer 216 auf und trat ein.
    Die Frau, die sie als Josephine kennen gelernt hatten, starrte sie von ihrem Bett aus an. In ihrem dünnen Krankenhauskittel sah sie bezaubernd hilflos aus, eine rehäugige Maid, die auf ihren Retter wartete. Wie zum Teufel machte sie das nur? Selbst mit ihren ungewaschenen Haaren und dem klobigen Gips am Bein brachte sie es noch fertig, strahlend schön auszusehen.
     
    Jane verlor keine Zeit. Sie steuerte geradewegs auf das Bett zu und fragte: »Wollen Sie uns vielleicht von San Diego erzählen?«
    Sofort senkte Josephine den Blick auf die Bettdecke und vermied es, Jane in die Augen zu sehen. »Ich weiß nicht, wovon Sie sprechen.«
    »Sie müssen

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