Grabkammer
gekostet haben, so weit zu kommen, aber sie hat es bis zu der Stelle da drüben geschafft.« Abbott zeigte auf das Ende der Blutspur. »Dort hat die Streife sie entdeckt.«
»Klingt ja wie ein Wunder«, meinte Jane.
»Das war es aber nicht – die Kollegen wurden von der Notrufzentrale hier hergeschickt.«
»Kam der Anruf von Josephine?«, fragte Frost.
»Nein, wir nehmen an, dass es die Hausbesitzerin war, Gemma Hamerton. Das Telefon lag in ihrem Schlafzimmer. Wer immer der Anrufer war, er oder sie kam nicht mehr dazu, etwas zu sagen, denn der Hörer wurde unmittelbar darauf aufgelegt.
Als die Leitstelle zurückzurufen versuchte, hatte jemand den Hörer wieder daneben gelegt. Die Telefonistin schickte eine Streife los, und drei Minuten später waren die Kollegen hier.«
Frost betrachtete die Flecken auf dem Kiesweg. »Hier ist eine Menge Blut.«
Abbott nickte. »Die junge Frau wurde drei Stunden lang notoperiert. Jetzt liegt sie mit einem Gips im Krankenhaus, und wie sich herausstellte, war das ein Glücksfall für uns. Denn wir haben erst letzte Nacht erfahren, dass das Boston PD sie zur Fahndung ausgeschrieben hat. Sonst wäre es ihr vielleicht gelungen, die Stadt unbemerkt zu verlassen.« Er wandte sich zum Haus um. »Wenn Sie noch mehr Blut sehen wollen, dann folgen Sie mir.«
Er ging voran zur Veranda, die mit Glassplittern übersät war.
Hier blieben sie stehen, um sich Überschuhe anzuziehen. Abbotts ominöse Worte ließen ahnen, welche Schrecken sie noch erwarteten, und Jane war auf das Schlimmste gefasst.
Doch als sie durch die Haustür trat, sah sie zunächst nichts Beunruhigendes. Das Wohnzimmer schien unversehrt. An den Wänden hingen Dutzende gerahmter Fotos, von denen viele eine Frau mit kurz geschnittenem blondem Haar in unterschiedlicher Begleitung zeigten. Ein riesiges Bücherregal war mit Bänden über Kunst und Geschichte, alte Sprachen und Ethnologie angefüllt.
»Ist das die Hausbesitzerin?«, fragte Frost und deutete auf die blonde Frau auf den Fotos.
Abbott nickte. »Gemma Hamerton. Sie lehrte Archäologie an einem der hiesigen Colleges.«
»Archäologie?« Der Blick, den Frost Jane zuwarf, schien zu sagen: Na, das ist ja interessant. »Was wissen Sie noch über sie?«
»Eine gesetzestreue Bürgerin, soviel wir wissen. War nie verheiratet. Und den Sommer hat sie immer im Ausland verbracht, mit irgendwelchen archäologischen Projekten.«
»Und warum war sie jetzt nicht im Ausland?«
»Ich weiß es nicht. Sie ist vor einer Woche aus Peru zurückgekommen, wo sie an einer Ausgrabung mitgearbeitet hatte. Wäre sie dort geblieben, dann wäre sie jetzt noch am Leben.«
Abbott blickte die Treppe hinauf, und seine Miene verfinsterte sich plötzlich. »Es wird Zeit, dass ich Ihnen das Obergeschoss zeige.« Er ging voran und hielt kurz inne, um sie auf die blutigen Fußspuren auf den Holzstufen aufmerksam zu machen.
»Ein Sportschuh, ungefähr Größe 43 », sagte er. »Wir wissen, dass die alle vom Mörder stammten, da Ms. Pulcillo barfuß war.«
»Sieht aus, als wäre er gelaufen«, meinte Jane, als sie die verschmierten Abdrücke betrachtete.
»Ja. Aber sie war schneller.«
Jane starrte die treppab führenden Fußspuren an. Obwohl das Blut getrocknet war und Sonnenlicht durch ein Fenster am Treppenabsatz hereindrang, schien das Treppenhaus noch erfüllt vom panischen Schrecken dieser Verfolgungsjagd. Ein kalter Schauer überlief sie, und sie blickte zum ersten Stock hinauf, wo noch weit schlimmere Bilder sie erwarteten. »Es ist oben passiert?«
»In Ms. Hamertons Schlafzimmer«, erwiderte Abbott. Er ließ sich Zeit, als er die letzten Stufen erklomm, als scheute er vor dem Anblick zurück, der ihn vor zwei Tagen in diesem Haus erwartet hatte. Hier oben waren die Spuren dunkler, hinterlassen von Sohlen, die nass von frischem Blut waren. Sie führten aus einem Zimmer am Ende des Flurs heraus. Abbott deutete auf die erste Tür, an der sie vorbeikamen. »Das ist das Gästezimmer, wo Ms. Pulcillo schlief.«
Jane runzelte die Stirn. »Aber das liegt ja näher zur Treppe.«
»Stimmt. Das kam mir auch merkwürdig vor. Der Mörder geht einfach an Ms. Pulcillos Tür vorbei und steuert zielstrebig Ms. Hamertons Zimmer am Ende des Flurs an. Vielleicht wusste er nicht, dass ein Gast im Haus war.«
»Oder vielleicht war diese Tür verschlossen«, mutmaßte Frost.
»Nein, das kann nicht die Erklärung sein. Diese Tür hat gar kein Schloss. Aus irgend einem Grund hat er sie links liegen
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