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Grablichter - Almstädt, E: Grablichter

Grablichter - Almstädt, E: Grablichter

Titel: Grablichter - Almstädt, E: Grablichter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eva Almstädt
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stochern? Um ihn zu schonen? Eher wohl, um sich selbst vor Unannehmlichkeiten zu bewahren, gestand Dettendorf sich beschämt ein. Die Gefühle anderer Menschen auszuhalten war eine Kunst, in der er nicht geübt war. Nach seiner Rückkehr von seinem Auslandseinsatz war Frank Reuter längere Zeit im Krankenhaus gewesen, in psychiatrischer Behandlung, wie gemunkelt wurde. Auch später, als er längst ins normale Leben zurückgekehrt war, war mehr über ihn als mit ihm gesprochen worden, jedenfalls soweit Jan das beurteilen konnte. Er selbst war unsensibel, bequem und gleichgültig gewesen. Er hatte dringende Arbeiten vorgeschoben, sich eingeredet, er sei taktvoll. Dabei hatte er nur Angst gehabt.
    Alles, was er über seinen alten Freund wusste, wusste er aus zweiter Hand: Nach dem Tod seines Vaters hatte Frank Reuter den geerbten Hof komplett umgekrempelt, die Produktion auf Bioprodukte umgestellt. Das allein hatte Misstrauen geweckt. Zudem hieß es, er sei psychisch immer noch instabil. Er begann zu zittern, wenn irgendwo eine Tür laut zuschlug oder ein Sektkorken knallte. Er war einfach nicht mehr derselbe wie früher! Jan Dettendorf stellte sich Frank Reuters unsteten Blick und dessenverschlossene Miene vor und entschied sich trotz seiner Gewissensbisse, auf direktem Weg nach Hause zu gehen.
    Er schlug den Weg ein, der hinter der Kirche am Friedhof vorbeiführte. Keine richtige Abkürzung, auch weniger gut ausgeleuchtet, aber dafür ruhiger als der Weg an der Hauptstraße. Hier, durch Bäume und Mauern vom durchfahrenden Verkehr geschützt, klangen seine Schritte unnatürlich laut auf dem nassen Pflaster. Die Kirchturmuhr schlug elfmal. Irgendwo in der Nähe erstarb der Motor eines Autos.
    Die Dorfkirche wurde von Scheinwerfen orangefarben angeleuchtet, die Straße dahinter war stockdunkel. Auf dem Kirchhof standen ein paar alte, verschnörkelte Eisenkreuze, die im Scheinwerferlicht lange Schatten warfen. Gegenüber der Feldsteinmauer, die den Kirchhof umschloss, lag der neue Friedhof. Dettendorf wollte nicht daran denken, was ihm dort in ein paar Tagen bevorstand. Er beschleunigte seine Schritte.
    Irgendwo in der Ferne bellte ein Hund. Nicht sein Hund: Roberta lag in der Küche in ihrem Korb und wartete auf ihn. Wenigstens etwas. Er nahm sie nie mit in eine Kneipe. Die Lichter an der Hauptstraße tauchten wieder vor ihm auf. Nun waren es nur noch wenige Minuten bis zu ihm nach Hause. Die kühle Nachtluft hatte seinen Kopf frei gemacht. Vielleicht würde er heute etwas besser schlafen können.
    Ein Auto parkte etwa zehn Meter von ihm entfernt am Straßenrand. Im Gegenlicht nahm er durch die Scheiben eine Bewegung im Innern wahr. Er kniff die Augen zusammen, als die Scheinwerfer des Wagens auf- und sofort wieder abgeblendet wurden. Es war also jemand in dem Wagen, er hatte sich nicht getäuscht. Vielleicht wartete der Fahrer auf einen Freund oder eine Freundin. Plötzlich sprangen die Türen des Wagens auf, alle vier auf einmal, und vier Personen stiegen aus. Sie schlenderten langsam auf ihn zu.
    Halbstarke, dachte Dettendorf. Seine Muskeln in Armen und Schultern spannten sich an. Sie gingen zu viert nebeneinander, es war unmöglich, ihnen in der Gasse auszuweichen. Dettendorf warf einen Blick über seine Schulter, doch da war nichts: nur eine leere dunkle Straße zwischen Friedhof und Kirchhof. Er musste da durch, im wahrsten Sinne des Wortes.
    Er tastete nach seinem Telefon in der Tasche. Ein nutzloses kleines Ding, angesichts dieser vier Männer, die sich nun drohend vor ihm aufbauten. Er kannte sie nicht. Es war sinnlos, sich einzubilden, dass sie nichts von ihm wollten. Sinnlos auch, sich einzureden, dass die vier harmlos sein könnten. Er hörte das Schnappen eines Klappmessers, es blitzte in der Hand des einen auf, und ein weiterer schwang etwas, dass wie ein Tschacko aussah. So ein Ding hatte Dettendorf in seiner Schulzeit zum letzten Mal gesehen, als sich ein dämlicher Klassenkamerad damit selbst eins über den Schädel gegeben hatte. Die Platzwunde hatte mit vier Stichen genäht werden müssen.
    »Was wollt ihr?«, fragte Dettendorf. Es klang nicht so selbstsicher und stark, wie er beabsichtigt hatte.
    »Nichts, Alter …«, antwortete der mit dem Messer und nickte den anderen zu. Wie auf Kommando sprangen sie vor, und zwei kräftige Hände packten seine Arme und zogen sie nach hinten. Die waren verdammt schnell.
    Dettendorf konnte nicht verhindern, dass seine Beine weggehebelt wurden, dann spürte er

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