Grablichter - Almstädt, E: Grablichter
liefen!
Mit diesen beunruhigenden Gedanken betrat Pia ein Café und suchte sich einen freien Tisch in der Nähe des Fensters. Sie bestellte sich ein belegtes Baguettebrötchen und einenMilchkaffee und versuchte, ein paar Minuten abzuschalten. Sie beobachtete drei Frauen mit Kinderwagen am Nebentisch, die angeregt schwatzend die Köpfe zusammensteckten. Während Pia den warmen Becher in beiden Händen hielt, stellte sie sich vor, wie es wäre, wenn sie nichts anderes zu bedenken hätte als die Weihnachtseinkäufe und die Frage nach dem richtigen Outfit für die nächste Party. Es gelang ihr nicht. Sie schien schon immer von den Abgründen des Lebens angezogen worden zu sein.
»Ob mein Vater ein Studierter war?« Meta Stoppe schnaubte verächtlich und wandte sich wieder ihrem Herd zu. »Wer hat Ihnen denn diesen Floh ins Ohr gesetzt?«
»Das waren Sie selbst. Mit der Nadel, die angeblich aus dem Grab Ihres Vaters stammt. Wir vermuten, dass es sich um eine DB-Nadel handelt. DB ist die Abkürzung für Deutsche Burschenschaft . Das weist auf einen Verbindungsstudenten hin.«
»Die Nadel gehörte nicht meinem Vater. Der war Knecht, dann Lohnarbeiter in der Landwirtschaft. Hatte seine Volksschule und sonst nix. Studierter? Lächerlich!« Meta Stoppe rührte mit erhitztem Gesicht in einem Emailletopf, in dem es kräftig brodelte. Die Kacheln an den Wänden ihrer kleinen Küche waren vom Kochdunst matt angelaufen, hier und da klebte ein dunkelroter Spritzer. Es roch säuerlich. Pia war dankbar für das verspätete Frühstück, das sie sich gegönnt hatte. Was braute die Frau da zusammen: Schwarzsauer?
»Dann muss sich Herr Ehrlich wohl geirrt haben, als er Ihnen diese Nadel gab.«
Meta Stoppe drehte sich zu Pia um, die Stirn in strenge Falten gelegt. »Ich habe keine Ahnung, wie die Nadel in die Erde gekommen ist. Kuno Ehrlich ist genau wie sein Name: grundehrlich. Das kann man längst nicht von allen hier sagen, nichtwahr? Die vom Bestattungsinstitut haben damals geschlampt, aber das habe ich Ihnen ja schon beim letzten Mal gesagt.«
»Inwiefern geschlampt? Da müssen Sie schon etwas konkreter werden, Frau Stoppe.«
Sie probierte ihr Gebräu und nickte zufrieden, kippte aber noch ordentlich Salz hinein. Mit der leeren Schippe deutete sie auf Pia. »Fragen, Fragen, Fragen. Was weiß denn unsereins schon? Ich musste mit fünfzehn von der Schule ab, als mein Vater einen schweren Unfall hatte. Hab’ ihn versorgt, Geld verdient, in der Küche vom Dorfkrug , und später habe ich geputzt. Meine Lehrerin hat damals zu mir gesagt: Geh nicht ab, Meta, du bist begabt. Hah! Wen interessiert das, frag’ ich Sie, wen? Studierte? Der Simon Burmeister hat auch studiert, weil er was Besseres werden wollte. Aber dann hat er die Marion geschwängert, und aus war es damit. Das nenn’ ich geschlampt. Und in die Binsen gegangen ist’s später auch noch. Die hatten nie den rechten Respekt vor den Toten, und außerdem dachten die immer, sie wär’n was Besseres als unsereins. Bei meinem Vater ist was schief gegangen. Sonst wäre ja die Nadel nicht da gewesen, oder?«
Enttäuschung, Hass, vielleicht auch Missgunst: ein Gebräu, abstoßender als diese sauer riechende Suppe auf dem Herd.
»Es war ja nicht nur die Nadel. Wenn man’s genau nimmt, war da noch was …«
»Was denn?«
»Grablichter«, sagte Meta Stoppe leise. In ihren Augen lag ein unheilvolles Funkeln.
»Was für Grablichter?«
»Rote Kerzen, wie die Katholiken sie auf die Gräber stellen, an Allerheiligen. Komische Sitte, irgendwie unheimlich … Vier Mal habe ich auf Vaters Grab so ein ausgebranntes Grablicht gefunden. Einmal, ich war auf dem Friedhof, als es schon dämmerte,hat es sogar noch gebrannt. Ich war vielleicht erschrocken! Keiner in unserer Familie ist katholisch, da können Sie unseren Pastor fragen, niemand!«
»Das ist merkwürdig. Sie haben nicht herausgefunden, wer die Grablichter dort aufgestellt hat?«
Meta Stoppe schüttelte grimmig den Kopf.
»Das hätten Sie mir schon beim letzten Mal erzählen sollen.«
»Und was hätte das genützt?«, kam es schnippisch zurück.
Pia seufzte leise. »Vielleicht wären wir dann mit unseren Ermittlungen schon ein Stückchen weiter. Haben Sie die ausgebrannten Grablichter noch?«
Meta schüttelte mit angewiderter Miene den Kopf.
»Kennen Sie hier jemanden, der katholisch ist und der Ihren Vater gekannt hat?«
»Meinen Sie nicht auch, dass ich das längst selbst überprüft habe? Ich kenne niemanden,
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