Grabstein - Mùbei: Die große chinesische Hungerkatastrophe 1958-1962 (German Edition)
Ganze weiter aus. Gleich am Anfang hieß es: »Vorletztes Jahr trugen wir das Korn im Korb/schafften im letzten Boot es fort/dies Jahr ist ein Lkw zu klein/im nächsten passt es in keinen Zug hinein.«
Anschließend hieß es:
»Etwas, das seit Jahrhunderten nichts war als ein schöner Traum, ein Märchen, ist in diesem Jahr auf unseren Feldern Wirklichkeit geworden! […] In der Volkskommune Satellit im Kreis Suiping der Provinz Henan wurde der Rekord aller Rekordernten unseres Landes gebrochen. Auf 2,9 Mu Fläche wurden 10238,6 Pfund Weizen produziert. Das scheint nicht mehr zu sein als eine Utopie, aber so ist es nicht, es ist eine Realität, die man jederzeit in die Hand nehmen kann!« [85]
Die Volkskommune Chengguan im Kreis Xiping hat mit 7320 Pfund Weizen pro Mu die Windbeutelei noch weiter getrieben. Die Menge von 7320 Pfund Weizen ausgebreitet auf einer Tenne von einem Mu Fläche wäre einen halben Meter hoch, es war offensichtlich, dass eine solche Menge auf einem Mu nicht produziert worden sein konnte. Bei dem allgemeinen Zweifel schickte das Gebietskomitee den stellvertretenden Generalsekretär Wang Binglin, um der Sache auf den Grund zu gehen. Wang Binglin kam zurück und sagte, es gehe alles mit rechten Dingen zu. 1999 sagte er allerdings zu mir: »Die Meldung über die Produktionsmenge kam erst einen Monat nach der Ernte. Wir sahen den Weizen auf einer Strohmatte und maßen auch die Fläche, die er bedeckte. Damals hatte ich Zweifel, dass so viel aus einem Mu Boden herauszuholen war, aber wer hätte das bei der politischen Atmosphäre damals zu sagen gewagt? Also sagte ich wohl oder übel, es gehe alles mit rechten Dingen zu.« [86]
Hätte jemand seinen Zweifel an den Zahlen aus der Volkskommune Satellit vorgebracht, er wäre Gegenstand einer Kampfkritik geworden.
Zhou Enlai hat 1958 zweimal eine vom Provinzkomitee von Henan organisierte Ausstellung über die reiche Produktion besucht – als er sah, dass die Gemeinde Heping im Kreis Xiping auf zwei Mu einen durchschnittlichen Pro-Mu-Ertrag von 7320 und die Gemeinde Mengjin auf 1,7 Mu einen von 7201 Pfund Weizen erzielt hatte, sagte er: »Ihr hier in Xiping seid die Nummer Eins, ihr seid die Besten!« [87]
Zur Zeit der Herbsternte verkündete das Provinzkomitee, Henan sei die zweite Provinz, auf deren Wasserreisfeldern ein durchschnittlicher Pro-Mu-Ertrag von 1000 Pfund erzielt worden sei. Zu dieser Zeit haben die Bauern auf Druck der Kader die Frucht von ein paar, einem Dutzend bis zu einem paar Dutzend, Feldern geschnitten und sie wiederum zur Besichtigung auf ein einziges Feld gepackt. Im Oktober verkündete Wu Zhipu einen Pro-Mu-Ertrag von 7300 Pfund Weizen und 5600 Pfund Sesam.
Das sei eine Steigerung pro Feldeinheit um das über 70fache; und beim Mais, dem Sorghum und der Hirse liege der »durchschnittliche Ertrag pro Landeinheit nahezu um das 100fache höher als in der Vergangenheit […] die Gesamtproduktion von Getreide wird für das Jahr mindestens bei gut 70 Milliarden Pfund liegen.«
Er zitiert hierbei die Voraussage Mao Zedongs aus dem Jahr 1955, in der von einer Produktionssteigerung um das Zehn- bis Zigfache die Rede war, was er als »längst virulente Tatsache« bezeichnete.
In Wahrheit belief sich der Gesamtertrag an Getreide in der Provinz Henan 1958 nur auf 28,1 Milliarden Pfund, die aber auf 70,2 Milliarden aufgeblasen wurden. 1959 gab es in Henan eine Dürre, die Getreideproduktion sank auf 21,7 Milliarden Pfund, wurde aber weiter auf 45 Milliarden ›aufgerundet‹. Die Folge dieser Überschätzung der Erträge waren überhöhte staatliche Ankaufquoten. Sie stiegen 1958 im Vergleich zum Vorjahr landesweit um 22,23 Prozent, in Henan alleine um 56 Prozent, die zwangsweise erhobenen Ankaufquoten beliefen sich auf 40,84 Prozent des wirklichen Ertrages.
Die Bauern waren und wurden gezwungen, Saatgut, Tierfutter und ihre Lebensmittelvorräte abzugeben, wenn sie die Quoten erfüllen wollten. Deshalb ist es nicht lange nach der Herbsternte zu Lebensmittelknappheiten gekommen. Doch Wu Zhipu glaubte nicht, dass die Bauern kein Getreide mehr hatten, er war der Auffassung, die Kader der Produktionsteams hätten unter dem Einfluss der reichen und mittleren Bauern die wahren Erträge verheimlicht und unter sich aufgeteilt, weshalb er provinzweit »den Zwei-Linien-Kampf gegen die Verschleierung und private Abzweigung der Erträge« anschob; Haushalte wurden durchsucht, Häuser abgerissen, Boden umgegraben
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