Grabt Opa aus - Ein rabenschwarzer Alpenkrimi
dem ältere Herrschaften in Ruhe den Sonnenuntergang ihres Lebens genießen wollen.“
„Ich habe ein Altersheim geerbt?“ Kaltes Grauen griff mit klammer Hand nach Alfies Herz. Schreckliche Visionen von Inkontinenzpfützen, Gebissputzbechern und zündelnden Alzheimergreisen bemächtigten sich seiner. „Nein!“ Letzteres sprach er nicht aus, es formte sich wie ein stummer Schrei in seinem Mund.
„Jetzt mal keine Panik. Wir sind eine erstklassige Adresse für ältere Menschen, die das Besondere schätzen. Und jetzt rein mit dir. Du verträgst offenbar die frische Bergluft nicht. Bist ja schon ganz grün im Gesicht.“
Damit marschierte Jeff Bridges durch die Eingangstür, von der großflächig die blaue Farbe abblätterte.
Alfies Seifenblase zerplatzte mit einem lautlosen Plopp. Ein Plopp, das dem in Rinnerthalers Kanzleibüro ganz ähnlich war – aber davon hatte Alfie ja nichts mitbekommen.
„Worauf wartest du, Jungelchen?“, rief Jeff ihm aus dem Hausflur zu. „Die anderen machen sich vor Ungeduld sicher schon in ihre Seniorenwindeln!“
„In die … was?“
Jeff Bridges verschwand im dunklen Schlund des Hauses. Man hörte nur noch ein Kichern. Ein irres Kichern, wie aus der Feder von Stephen King.
Wo bin ich hier gelandet?, fragte sich Alfie.
Er drehte sich noch einmal um, schaute auf den See und die gegenüberliegende Seite, von wo ihn das schnuckelige Hotel Seespitz förmlich anzulachen schien. Oder lachte es ihn aus?
Mit hängenden Schultern tat er den ersten Schritt in sein neues Leben.
5
Das Panoptikum des Grauens
„Willkommen, bienvenu, welcome!“, rief Mireille Mathieu und schleuderte Kusshände in alle vier Ecken des überheizten Aufenthaltsraumes.
Alfie starrte die Mathieu aus großen Augen an. Also, auch hier vermutlich nicht die echte, aber eine verblüffend ähnliche Kopie. Mit exakt derselben schwarzen Prinz-Eisenherz-Frisur. Nur, dass sie Asiatin war. Will heißen: Mandelaugen und einen olivfarbenen Teint hatte. Mit ihren überlangen, blutrot bemalten Fingernägeln krallte sie sich in Alfies Oberarme und küsste ihn auf beide Wangen. „Wie schön, endlich wieder Frischfleisch im Haus!“
Alfie schluckte. Was ihm schwerfiel, denn seine Mundhöhle war wie ausgedörrt.
„Lass ihn, du machst ihn ja ganz verlegen.“ Ein glatzköpfiger, alter Haudegen trat auf ihn zu, in Militärhosen und Springerstiefeln – und mit Augenklappe. Mosche Dajan! Mit seiner sehnigen Rechten schnipste er Mireilles Krallenhand von Alfies Arm und klopfte dann Alfie so hammerhart auf die Schulter, dass dieser in die Knie ging.
Wo war er hier gelandet? Im Auffanglager für die ausgemusterten Wachsfiguren der Madame Tussaud? Die ein irrer Doktor Frankenstein mit Hilfe von Blitzen zum Leben erweckt hatte?
Alfie trat einen Schritt zurück. Wussten junge Menschen überhaupt noch, wer die französische Schlagermaus Mireille und der israelische Politiker waren? Oder hatte er als Kind einfach zu viel Zeit mit seiner Oma vor der Glotze verbracht? Jedenfalls bekam er es langsam mit der Angst zu tun.
Und immer, wenn man denkt, dass es unmöglich noch schlimmer kommen kann, kommt es noch schlimmer.
„Ich hoffe ja sehr, dass sich unter dem neuen Management nichts ändert. Ich verabscheue Veränderungen. Die Leute sagen stets, es sei gut, wenn sich etwas ändert, aber es wird nie besser, nur anders.“
Die strenge Stimme mit dem aristokratischen Timbre kam aus der hinteren rechten Ecke des Raumes. Da im Haus offenbar an Glühbirnen gespart wurde, sah Alfie erstmal nur einen dunklen Umriss. Langsam gewöhnten sich seine Augen an das Dämmerlicht und er machte einen ausgefegten Kamin sowie zwei ausladende, schwarze Lederfauteuils aus, die auch schon bessere Tage gesehen hatten. In einem der Sessel thronte eine royale Gestalt mit hochgesteckten, eisengrauen Haaren und vier Reihen fetter Perlen um den faltigen Truthahnhals, über die sich diverse Doppelkinne stülpten, obwohl die alte Dame an sich eher hager schien. Sie war definitiv ein Unikat, aber ein Unikat, das Alfie sehr stark an Maggie Smith als Herzoginwitwe in Downton Abbey erinnerte. Nicht zuletzt wegen des abschätzigen Tonfalls und der Sticheleien, die sie wie aus einer Flak abschoss.
Alfie blieb sprachlos.
„Na, Jungelchen, wie gefällt es dir in unserem Panoptikum des Grauens?“ Jeff Bridges lachte herzhaft, sein perfektes Gebiss mit den supergebleichten Zähnen schien den ganzen Raum zu erhellen.
„Äh … sehr schön“, log Alfie und zwang
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