Grabt Opa aus - Ein rabenschwarzer Alpenkrimi
bogen wieder nach rechts, was das Links von vorhin war, weswegen Mireille Mathieu triumphierend grinste, und landeten auf der anderen Isarseite – allerdings in der Fußgängerzone.
„Kein Friedhof weit und breit“, vermerkte die Herzoginwitwe süffisant.
„Irgendwo muss er ja sein. Die werden den Friedhof wohl kaum plattgemacht haben, um ein Einkaufszentrum darauf zu errichten“, erklärte Selma.
„Das ist doch eine wunderbare Gelegenheit, unserem Jungelchen die Highlights von Mittenwald zu zeigen“, fand Jeff Bridges, der die Kunst beherrschte, in allem das Beste zu sehen, auch und gerade mitten in der Nacht. „Schau, dafür ist die Stadt berühmt – Lüftlmalerei.“
Im Zeitlupentempo fuhren sie durch den alten Ortskern.
Alfie betrachtete die gemalten Figuren an den Häuserfassaden. Aha, dachte er, die haben auch ein Graffiti-Problem, nur eben auf hohem Niveau.
„Lüftlmalerei, Fingerhakeln und Geigenbau“, fuhr Jeff Bridges fort. „Tagsüber wimmelt es hier vor Touristen und Tischen zum Draußensitzen. Wie gut, dass wir nachts hier sind und alles für uns allein haben. Da vorn siehst du die Kirche Sankt Peter und Paul, eigentlich gotisch, wurde später barockisiert. Und da drüben ...“
„Könntest du bitte aufhören, den Fremdenführer zu spielen, und dir etwas mehr Mühe beim Suchen des Friedhofs geben?“, unterbrach die Herzoginwitwe.
Sie bogen rechts ab, dann nach links, dann rief Mosche: „Da vorn, das kommt mir bekannt vor!“
Er zeigte auf ein Fahrzeug, an dessen Seite Tortentaxi zu lesen war.
„Kannst du immer nur an das Eine denken?“, empörte sich die Herzoginwitwe. „Jetzt wird nicht gegessen!“
„Nein“, widersprach Mosche, „links, wo der Wagen steht, die Straße – da geht es zum Friedhof.“
Er sollte recht behalten.
Gleich darauf parkte der kunterbunte VW-Bus vor einem weißen Mäuerchen, das sichtlich ein Friedhofsmäuerchen war, und wenig später standen sie vollzählig – bis auf Yussef, den Mosche zur „Bewachung“ des Fahrzeugs zurückgelassen hatte – vor dem berühmten Jesus am Kreuz, den alle Mittenwald-Touristen fotografierten, wenn sie sich denn auf den Friedhof verirrten. Wobei sich Alfie schon fragte, ob es Jesus bei seiner Rückkehr auf die Erde freuen würde, überall Kreuze zu sehen. Wenn John F. Kennedy zurückkehrte, würde er ja auch nicht überall Scharfschützen sehen wollen, oder?
Im Licht des Vollmonds erhob sich hinter dem Kreuz … ein Bergzug. Alfie hatte keine Ahnung, welcher es sein konnte. Das Karwendel. Die Anden. Er kannte sich mit Bergen nicht so aus. Und Namen waren ohnehin Schall und Rauch und nur für Kreuzworträtsel gut. Aber eindrucksvoll war das Massiv schon, das musste er zugeben. Alle Gräber um die kleine Kapelle waren in Richtung der Berge ausgerichtet. Als ob man den Toten die schönste Aussicht gönnen wollte. Wer hier starb, war bestimmt zufriedener tot.
Für mitternächtliches Meditieren über die Erhabenheit der Berge war allerdings keine Zeit. Der Opa, über den Alfie immer noch keinerlei Hintergrundinformationen hatte, harrte darauf, ausgegraben zu werden.
„Hier“, sagte Jeff, drückte Alfie einen Spaten in die Hand, zog einen Apfel aus der Hosentasche und biss kraftvoll zu. Mosche zündete sich eine Cohiba an und kraulte sich im Schritt. Mandy, Mireille und die Herzoginwitwe saßen etwas weiter seitlich auf einem Grabstein und schauten zu. Hugh Hefner und das Kannibalenhäschen, die schon die nächtlich abgeschlossene Pforte der Friedhofsmauer mit flinken Fingern geöffnet hatten, waren in die Kapelle eingebrochen und ... äh ... gingen dort vermutlich andächtig in sich.
„Und jetzt?“, fragte Alfie
„Jetzt gräbst du Opa aus!“
Alfie schaute auf das Grab vor sich. Im Gegensatz zu den vielen anderen gepflegten Gräbern, die meisten davon mit Kruzifix, viele davon noch mit üppigem Blumenschmuck, obwohl die Verblichenen schon Jahrzehnte tot waren, war der Grabstein, vor dem er – im Licht einer mitgebrachten Sturmlampe – stand, schlicht. Er lag zwischen dem schmalen Kiesweg, der zur weißen Kapelle führte, und dem grau besteinten Familiengrab der Fellners, deren fünf Insassen angeführt wurden, darunter die Jungfrau Cäcilie Fellner, Braumeisterstochter, gestorben nach länglichem Leiden, geboren Oktober 1906, gestorben April 1934 , beides in Mittenwald. Alfie schluckte. 27 Jahre alt geworden und als Jungfrau gestorben. Er war zwar einen Hauch älter und auch im engeren Sinn des Wortes
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