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Grabt Opa aus - Ein rabenschwarzer Alpenkrimi

Grabt Opa aus - Ein rabenschwarzer Alpenkrimi

Titel: Grabt Opa aus - Ein rabenschwarzer Alpenkrimi Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tatjana Kruse
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die Höhe schraubte. Es war also vornehmlich ein Blick in Abgründe. Das sah auf Postkarten immer sehr pittoresk aus, aber wehe, man saß in einem ruckelnden Zug, der – so fühlte es sich wenigstens an – jeden Moment aus den Gleisen springen und ins Bodenlose stürzen konnte. Für das Gepäck, also zumindest für Kinderwägen und Fahrräder, gab es Gurte – Gurte! Oh, diese Österreicher! –, nicht aber für die Passagiere. Was passierte mit den Fahrgästen, wenn die Bahn kopfüber in die Tiefe sauste? Von wegen, alles aus und vorbei. Das dauerte bestimmt gefühlte Ewigkeiten, bis man völlig zermanscht in verbogenem Metall ganz unten am Inn-Ufer liegenblieb und seinen letzten, qualvollen Röchler tat.
    Kurzum, Alfie hatte Höhenangst.
    Was man ihm auch ansah.
    „Warum setzen Sie sich nicht auf die andere Seite, bergaufwärts? Da sehen Sie nur Bäume und Fels“, riet ihm die – natürlich ältere – Dame gegenüber in der Vierersitzecke. Gluckenreflex, war er von alten Frauen ja gewöhnt.
    Was Alfie in seinem Zustand nicht erkannte, war, dass sie ihm das nicht aus Selbstlosigkeit riet, sondern weil sie Angst hatte, er könnte ihr – wie ein Lama – auf die sandfarbenen Gesundheitsschuhe spucken. Oder einen Panikanfall bekommen und gemeingefährlich durch den Waggon toben. Es handelte sich also mitnichten um Glucken-Sorge, vielmehr um nackte Angst. Bei Flachlandtouristen wusste man eben nie. „Auf der Bergseite merken Sie gar nicht, dass es nach oben geht“, fügte sie noch hinzu.
    Alfie war mit sich selbst beschäftigt. Er war hier auf einer Abenteuerreise, das erforderte Heldentum. Selbstverständlich würde er nicht kampflos aufgeben, wer war er denn schließlich? Bist du ein Mann oder eine Maus? , herrschte er sich innerlich an, schob den Unterkiefer vor und schluckte die Gallenflüssigkeit hinunter, die sich durch seine Speiseröhre nach oben schieben wollte.
    „Danke, es geht mir gut“, log er die Frau in den Gesundheitsschuhen frech an.
    Die ältere Dame (Judi-Dench-Kurzhaarschnitt, Perlenohrringe) sah ihn nur einen Moment lang ausdruckslos an, dann tauschte sie mit dem eleganten, groß gewachsenen Herrn (Tweed-Sakko, schulterlange Haare, Pianistenfinger) schräg gegenüber einen vielsagenden Blick. Alfie kannte diesen Blick. In seiner Heimatstadt – einer weitgehend erhaltenen, mittelalterlichen Touristenhochburg – tauschten Einheimische diesen Blick, wenn wieder einmal ein Reisebus von außerhalb trotz Warnschildern in den engen Gassen stecken blieb oder Viererketten von auswärtigen Urlaubern knipsend und plaudernd durch die Straßen liefen und den Weg versperrten, obwohl Werktätige zu ihrer Arbeitsstätte oder junge Mütter einkaufen mussten. Idioten von auswärts besagte bei ihm zu Hause dieser Blick. Hier hieß der Blick aber wohl Piefke .
    Trotzig sah er aus dem Panoramafenster. Auf einer allzu schmalen Brücke fuhren sie gerade über eine Schlucht, unter ihnen ein Sturzbach, gesäumt von Bäumen. Zwischen der Bahn und der Schlucht befand sich ein schmales, eisernes Geländer, das im Ernstfall nicht einmal einen Kleinwagen hätte aufhalten können, geschweige denn eine tonnenschwere Gebirgsbahn.
    Nicht hinsehen! , befahl er sich, konnte jedoch den Blick nicht von den glitzernden Schaumkronen tief unter ihm abwenden. Vielleicht lebte er ja noch, wenn die Karwendelbahn – zu einer Zieharmonika gefältelt – dort unten aufprallte, nur um dann, hilflos eingequetscht, jämmerlich in den eisigen Gebirgsbachfluten zu ertrinken?
    Wieder musste Alfie würgen, dieses Mal drängte nicht nur Gallenflüssigkeit, sondern auch das Frühstücksrührei nach oben. Seine Nasenflügel bebten, er gab ein Keuchen von sich.
    Der elegante Herr und die ältere Dame standen abrupt auf und begaben sich in den nächsten Waggon. Nur ein Schulbub blieb in Alfies Nähe sitzen. Er hatte riesige Kopfhörer über den Kinderschädel gestülpt, aus denen man es wummern hörte. Der würde die Brechwelle erst bemerken, wenn er in ihr unterging.
    Aber Alfie würde nicht brechen. Er wollte nicht brechen!
    Die Ehre gebot, dass er sich weiterhin leise würgend in den Sitz krallte und versuchte, seine Lider über den panisch geweiteten Augäpfeln zu schließen. Ein hoffnungsloses Unterfangen.
    Einen echten Mann zeichnet aus, dass er weiß, wann er sich geschlagen geben muss.
    Alfie stand auf und setzte sich auf die Bergseite, beugte sich vor, steckte den Kopf zwischen die Knie und atmete. Ein, aus, ein, aus – gleichmäßig

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