Grace - Die Biographie
broken bones of L. B. Jeffries« –, schwenkt dann sehr schnell in den hinteren Part des Zimmers und gleitet über die exponierten Arbeitsutensilien von Jeffries – Fotoapparat, Filmmaterialien, gerahmte Schnappschüsse, Heftnummern mit seinen Titelbildern. Dann erfolgt eine Abblende.
Die Exposition ist bereits in sich eine kleine Geschichte, vollkommen kommentarlos wurde der Protagonist in seiner Junggesellenwohnung eingeführt, seine akute Situation, sein Beruf, sein Umfeld und wie er wohnt. Und die Hitchcock’sche Manipulation des Zuschauers ist bereits vollzogen: Er sieht den Hof überwiegend mit Jeffries’ Augen. Nur in einigen Szenen steht er außerhalb. Der subjektive Blick wird zum objektiven erklärt. Der Blick des Zuschauers also ist jener der Kamera, ist der Jeffries’. Durch diese Verschmelzung, zumal die Grundsituation des Zuschauerseben das Zusehen ist, begeht dieser von Beginn an eine Indiskretion. Er wird zum Voyeur. Das Fenster zum Hof ist denn auch der Film schlechthin über Voyeurismus. Über das heimliche Beobachten, über das externe Eindringen in die interne Privatsphäre völlig fremder Menschen, und seien es eben die unmittelbaren Nachbarn. Und Jeffries, der Fotograf, er ist gewissermaßen per se ein professioneller Voyeur.
Die pragmatisch-patente Krankenschwester Stella (Thelma Ritter), die Jeffries regelmäßig den Rücken massiert, sagt einen der die Handlung antizipierenden Schlüsselsätze des Films: »Wir sind doch ein Volk von Spannern geworden. (…) Erst brechen Sie sich das Bein, und dann, dann fangen Sie an aus dem Fenster zu schauen, um Dinge zu sehen, die Sie nicht sehen sollten. Ärger.« 164
»Jeff, wenn du dich doch bloß sehen könntest. (…) Es ist krankhaft«, meint Jeffries Verlobte, das äußerst attraktive, aparte Model Lisa Carol Fremont (Grace Kelly) einmal über sein Tun, bevor auch sie später von seiner Annahme überzeugt ist, dass gegenüber, im ersten Stock ein gewisser Lars Thorwald (Raymond Burr) seine Ehefrau umgebracht, zerteilt und in großen Vertreterkoffern nachts bei strömendem Regen aus der Wohnung geschafft hat – Jeffries hat mit dem Teleobjektiv, dem »tragbaren Schlüsselloch« (Stella) beobachtet, wie Thorwald eine große Säge und ein großes Küchenmesser in Zeitungspapier wickelte. Mehrmals fragen sich Jeffries und Lisa nun, ob sie das, was sie da tun, denn überhaupt dürften. »Ich frage mich, ob es moralisch vertretbar ist, einen Mann mit Fernglas und Teleobjektiv zu beobachten«, meint Jeff zu Lisa, und diese erwidert: »Jeff, weißt du, wenn jetzt jemand hier rein käme, er würde nicht glauben, was er sieht: Dich und mich mit langen Gesichtern, tief verzweifelt und enttäuscht, weil wir herausgefunden haben, dass der Mann seine Frau nicht umgebracht hat. Wir sind zwei der schrecklichsten Scheusale, die ich je gesehen habe.« Die Legitimation für ihr Handeln, das auch Jeffries’ alter Kriegskompagnon, Police Detective Tom Doyle (Wendell Corey) kritisch beäugt, ist schließlich und ausschließlich die Aufklärung des tatsächlich begangenen Mordes an Thorwalds Ehefrau. Dies ist das die Handlung antreibende Element in Das Fenster zum Hof , der Mac Guffin . Das eigentliche Sujet ist die Beziehung zwischen Jeffries und Lisa.
Die französischen »Nouvelle Vague«-Regisseure Claude Chabrol und Eric Rohmer, die, wie auch François Truffaut, in den fünfziger Jahren als Filmkritiker bei den renommierten Cahiers du Cinéma in Paris tätig waren, nannten die Hofmauer, auf die Jeffries den gesamten Film hindurch blickt, sehr passend »l’ensemble de ces cages à lapin bien cloisonnées«. 165 Und in diesem besagten Ensemble von Kaninchenställen, die wiederum Zellen gleichen, herrscht allenthalben Einsamkeit. Ganz gleich, in welchem sozialen Status sich die jeweiligen Bewohner befinden, ob Single oder Verheiratete, niemand von ihnen scheint erfüllt, scheint glücklich zu sein: Das Spektrum reicht von dem stets auf dem Balkon schlafenden kinderlosen Ehepaar, das seinen Hund immer in einem Korb an einem Seil in den kleinen Rosengarten des Hinterhofes hinunterlässt, über die unglückliche einsame Singlefrau »Miss Lonelyhearts«, die von ziellosen Männern umgarnte, stets durch ihr Apartment tänzelnde junge »Miss Torso«, die im Garten an eigenwilligen Skulpturen arbeitende Bildhauerin, bis hin zu dem jungen erfolglosen Pianisten, der das leitmotivische Lied Lisa komponiert, und schließlich dem frisch vermählten jungen Ehepaar, das
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