Graf Petöfy
nicht angeklebt sind, sondern wirklich geschwungen werden. Elan auch da, Leben und Wirklichkeit. Und nun gar erst der Roman!«
»Ah, Sue; Balzac.«
»Überholt.«
»Flaubert?«
»Überholt.«
»Nun, wer denn?«
»Eine neue Größe. Zola. Emile Zola.«
»Was sehr unfranzösisch klingt.«
»Und es auch ist. Italiener von Abstammung, wie die meisten berühmten Franzosen.«
»Und was will er?«
»Ja, das ist schwer zu sagen, meine Gnädigste, weil er sehr vieles will und dies viele zu gleicher Zeit. Er hat jedenfalls seine ›Wahlverwandtschaften‹ gelesen und sieht in dem, was wir das Seelische zu nennen gewohnt sind, also zu meinem lebhaften Bedauern auch in der ganzen Machtsphäre der Liebe, nur sehr äußerliche, sehr natürliche Prozesse. Die Blutmischung spielt eine Rolle von Bedeutung und natürlich auch die Nerven. Aber das ist nicht die Hauptsache. Bis jetzt war es, wenn ich mich nicht irre, das Auge, was in dem bekannten und entscheidenden großen Romanmomente den Ausschlag zu gehen hatte; der neue Romancier mit dem italienischen Namen aber geht weit, weit darüber hinaus und zieht nicht mehr und nicht weniger als die Gesamtheit aller Sinne heran. Gambettistische Levée en masse, wenn Sie wollen. Es hat unleugbar manches für sich, und ich breche nur ab, so gern ich fortführe, weil das Thema zu delikat und voll ganz besonderer Schwierigkeiten ist. Einer seiner Romane heißt beispielsweise ›Der Bauch von Paris‹.«
»Ah«, sagte Phemi. »Sehr interessant. Das verspricht etwas. Und das Neueste?«
»Das Neueste? Nun, das las ich in dem Feuilleton einer Zeitung, und der Titel lautete, so mir recht ist: ›La faute de l'abbé Mouret‹. Der Herr Verfasser beschwört darin den Sündenfall, also ein immerhin interessantes Thema, noch einmal herauf und läßt ihn sich in einem modernen Blumenurwald vollziehen, dem er in offenbar gewolltem Anklang an das altehrwürdige Paradies den Namen ›Paradoux‹ gegeben hat.«
»Und wie führt sich Adam ein?«
»Vollkommen dezent.«
»Auch vor dem Fall?«
»Auch da, meine Gnädigste. Denn der Adam, um den es sich in dem Romane handelt, ist eben kein wirklicher Adam, sondern in jedem Sinn ein Kostüm-Adam und in Wahrheit niemand anderes als der Abbé Mouret selbst, ein schöner und liebenswürdiger junger Herr, der sich, wie's einem Abbé geziemt, mit Händen und Füßen sträubt und wehrt und die Frucht vom Baume der Erkenntnis mit ihrer von Minute zu Minute röter und verführerischer werdenden Backe gern wegbeten möchte. Doch umsonst. Er fällt!«
»Natürlich.«
»Natürlich?« wiederholte Franziska. »Warum natürlich? Ich verlange, daß Gebete helfen... Und wie straft sich seine Schuld?«
»Er geht leer aus.«
»Comme toujours. Und Eva?«
»Stirbt. Aber selbstverständlich nicht auf dem herkömmlichen Wege, sondern trägt sich höchst eigenhändig ihr Sterbelager aus der Gesamtflora des Paradoux zusammen, schläft ein und chloroformiert sich mit Blumenduft zu Tode.«
»Das möcht ich aber doch wirklich lesen.«
»Ein Entschluß, in dem ich Sie nur bestärken kann. Und seien Sie versichert, daß jede Seite Sie fesseln wird, aller Einwendungen unserer kritischen Freundin unerachtet. Über das Anfechtbare hilft schließlich die fremde Sprache hinweg. Ich werde mich mühen, Ihnen die Blätter zu verschaffen. Und nun lassen Sie mich meinen ersten, ohnehin über Gebühr ausgedehnten Besuch rasch abbrechen. Auf gute Nachbarschaft, meine Damen. Bis morgen.«
Und damit erhob er sich, um seinen Morgenspaziergang in der Richtung auf den Bahnhof hin fortzusetzen. Als er eben die Veranda passiert hatte, lief ihm Lysinka, die draußen Federball spielte, nach, nahm seine Hand und sagte: »Guten Tag. Ich werde dich begleiten.«
Franziska war es nicht recht, aber Phemi lachte nur und sagte »Sieh doch, er freut sich, das Kind an der Hand zu haben. Ach, Fränzl, du glaubst gar nicht, wie gleichgültig Legitimitätsfragen sind. Natürlich den Erbschaftspunkt abgerechnet.«
Achtes Kapitel
In derselben halben Stunde saß die Gräfin drüben vor einem an ihrem Balkonfenster stehenden Schreibtisch, um einen Brief an Feßler zu richten. Aber das entzückende Bild, das sich vor ihr ausbreitete, machte, daß sie die Feder, die sie vor einer Weile schon zur Hand genommen hatte, wieder niederlegte. Hoch über die mit Wein und Laubholz besetzten Berge hin zog ein silberglänzendes Gewölk, während unten im Tale schon die mit jedem Augenblicke bedrücklicher
Weitere Kostenlose Bücher