Graf Petöfy
älteren Schwestern hingen und jenes Wehgeschrei fortsetzten, das man schon auf Mittelhöhe des Abhanges gehört hatte. Franziska, die für alles Toldysche voll wirklicher Zärtlichkeit war, eilte, wie sie den Jammer sah, allen anderen vorauf, den beiden ältesten Mädchen entgegen, aber ehe sie noch eine Frage stellen konnte, hatte sich Toldy selbst schon vor dem Grafen in die Knie geworfen und überflutete diesen mit einem Redestrom, in dem Marischka das dritte Wort war. Marischka sei fort, Marischka habe drunten auf der Wiese gespielt mit Stellmacher Szekelis großer Aranka, die schon ins zwölfte Jahr geh, und mit Zsoldos kleinem Görgeli, der noch kleiner sei als Marischka. Und mit eins sei von der Seite her ein böses altes Weib mit einem roten Tuch um den Kopf aus dem Erlenbusch herausgesprungen und hätte die Marischka gepackt und weggezerrt. Und das Kind habe nicht einmal geschrien, so todangst sei es gewesen. Und der kleine Görgeli sage, sie hätten's in einen Sack gesteckt. Aber das sei nicht wahr, das sei bloß aus dem Märchen, wo die Kinder immer in einen Sack gesteckt würden, nein, das glaub er nicht; aber weg sei die Marischka und er müsse sie wiederhaben, denn Marischka sei das Nesthühnchen und ein Engelchen und er solle nur die Gräfin gnädigste fragen, die wiß es auch, daß es ein Engelchen sei.
So ging es noch eine gute Weile, während die Kinder ebenfalls niederknieten und ihre Händchen falteten und jämmerlich weiterweinten und -schluchzten. Es war rührend, die Liebe der kinderreichen Familie zu dem verlorengegangenen Liebling zu sehen, aber in das Rührende mischte sich freilich auch ein Beisatz von Komischem, der, wenn nicht von Judith und Franziska, so doch von Egon und dem alten Grafen empfunden wurde.
»Ja, Toldy«, sagte dieser endlich, »ich will tun, was du willst, aber du mußt mir sagen, was und wie. Gegen wen hast du Verdacht? Wohin sind sie gegangen? Und wen nehmen wir mit?«
»Istem Magyar, ich weiß: der Hanka muß helfen. So wir haben Hanka, haben wir auch Marischka. Hanka ist König. Aber Hanka hat Haß gegen Toldy, zweimal, erst Haß wegen dem Spiel« – und er machte die Bewegung eines Geigenstrichs –, »und dann Haß, weil Toldy gesagt hat – aber Toldy hat es nicht gesagt –, das letzte Feuer, das sei von ihm, von dem Hanka gewesen. Aber wenn Graf sagen: ›Hanka, hilf!‹, dann hilft Hanka und vergißt Haß. Denn Hanka liebt Graf und fürchtet Graf.«
Einem solchen Appell an Hülfe war natürlich nicht zu widerstehen, und so wurde denn, als man das Schloß erreicht hatte, sofort an »König Hanka« geschickt, der alsbald auch zurücksagen ließ: er wisse nichts weiter, als daß drei Lager am großen See seien; an alle drei woll er schicken und alle drei seinen Willen wissen lassen. Aber es werde sich keiner zu dem Kindesdiebstahl aus freien Stücken bekennen wollen, und so werde man's doch suchen müssen, bis man's finde. Aber
finden
werde man's.
Nach Eingang dieser Nachrichten beruhigten sich alle Parteien, am meisten Andras, der sich von Anfang an ziemlich kühl gezeigt und im Gegensatz zu dem Rest der Familie zu Hannah, die seine Vertraute war, dahin ausgesprochen hatte, daß das Toldysche Haus überhaupt auf zuviel Augen stehe. Was aber die Marischka beträfe, so sei sie wohl ein Verzug, aber kein Engel. Ein Punkt, über den zu sprechen er um so geeigneter war, als er selber ungebührlich verzogen wurde.
Ja, man beruhigte sich, und Egon, als die Teestunde da war, stand bereits an dem Punkt, alles von der heiteren Seite zu nehmen. Zugleich sprach er gegen Franziska, die dabei zustimmend nickte, die Hoffnung aus, sie werde die für den andern Tag anberaumte große Suche mitmachen, immer vorausgesetzt, daß sich bis dahin nicht alles wieder geregelt habe, was freilich das wahrscheinlichste sei. Denn das ganze Gesindel hänge zusammen, und nachdem König Hanka seinen Ukas nunmehr erlassen habe, werde sich das »Engelchen« am andern Morgen auf Toldys Türschwelle vorfinden.
Aber dies erfüllte sich nicht, und als um die zehnte Stunde noch immer an keine Marischka zu denken war, brach man in zwei starken Trupps auf, von denen der alte Graf die für das linke, Graf Egon die für das rechte Seeufer bestimmte Kolonne führte. Bei der ersteren war auch Toldy, bei der zweiten aber Andras und Franziska, welch letztere trotz alles Abmahnens der alten Gräfin ihrer Neugier und einem kleinen in ihr aufsteigenden Abenteuerhange nicht hatte widerstehen können.
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