Graf Petöfy
Selbst ihr Gezänk ist voller Leben.«
Er sprach weiter und schien es mit seinem Verlangen, etwas aus der Welt hören zu wollen, nicht allzu dringlich gemeint zu haben. Endlich aber entsann er sich wieder und sagte: »Nun, was hast du gefunden? Gib uns die Quintessenz.«
»Ich habe nichts gefunden, Adam. All diese Zänkereien, die dich interessieren, interessieren mich nicht, und was
mich
wiederum interessiert, das sind Anekdoten und Notizen, über die du spöttisch hingehst.«
»Es käme doch auf einen Versuch an. Ich bin schließlich auch durchaus der Mann der Anekdote.«
»Nun denn, im Hospitale zu Charenton, so berichtet hier die ›Augsburgerin‹, ist hundertunddrei Jahre alt ein Mensch gestorben, den man allgemein den Glasmenschen nannte.«
»Sonderbar. Ein l'homme de fer ist mir auf meinen Weltfahrten irgendwo vorgestellt worden, ich glaub in Straßburg. Aber ein l'homme de verre ist mir neu. Warum hieß er so?«
»Weil er sich selber einbildete, von Glas zu sein.«
»Also durchsichtig?«
»Ja.«
»Sagt die Notiz nichts weiter? Du bist so einsilbig, Judith. Ich möchte mehr wissen. Wie verbracht er sein Leben?«
»Er lebte korrekt.«
»Nur in der Ordnung. Wer von Glas ist, hat die Verpflichtung, korrekt zu leben; er kann ja jeden Augenblick in seinem Triebwerk kontrolliert werden. Was meinst du, Franziska?«
Diese senkte den Blick, überwand sich aber und sagte: »Die Seele, mein ich, bleibt unsichtbar.«
»Ja, die Seele. Aber es wäre schon immer was, das Herz arbeiten zu sehen.«
»Es ist das so nötig nicht«, sagte Judith. »Alles hat seinen Widerschein, und auch das Herz spiegelt sich. Wir sind alle viel mehr Glasmenschen, als du glaubst, Bruder. Und es ist schließlich auch ein Glück, daß es so ist.«
»Aber ein größeres noch, daß es als Regel nicht so ist. Nur der Irrtum ist das Leben.«
»Oder die Wahrheit.«
»Ach, die Wahrheit? Glaube mir, Judith, die Welt bleibt ewig in der alten Pilatusfrage stecken.«
Egon, als dies Gespräch schwieg, trat auf die Veranda. Dann kam er zurück und entschuldigte sich für den Tag, er habe eine Verabredung; Fasanenjagd mit Szabô. Nach ihm erhob sich auch Franziska, der der Boden unter den Füßen brannte. War dies alles Zufall, oder war es mehr? Sie ging auf ihr Zimmer, froh, aus dem Kreuzfeuer heraus zu sein.
Nur Graf Adam und Gräfin Judith blieben, jeder anscheinend in seine Lektüre vertieft. Aber die Gräfin war es nicht, und als eine kleine Weile vergangen war, legte sie die Zeitung nieder und sagte: »Hast du noch nicht an Aufbruch gedacht, Adam? Ich meine nach Wien. Die Tage werden kurz...«
»Und dir zu lang«, unterbrach der Graf. »Der kleine Mann unten ist freilich kein Pater Feßler; aber Pardon, Judith, so steht nicht jeder zu dieser Sache. Was sollen wir jetzt in Wien? Es ist noch um einen Monat zu früh, und verlängern wir die Saison um diese vier Herbsteswochen, so nehmen die Frühjahrswochen kein Ende. Zudem bin ich einigermaßen Gewohnheitsmensch und treffe nicht gern vor dem zweiten Dezember in Wien ein. Also, wenn du willst, auch ein Mann des zweiten Dezember.«
»Ich würde mich nie so nennen, Adam, auch im Scherz nicht. Und nun gar du, der im Aberglauben steckt. Aber was ich dir sagen wollte: du verfällst zu sehr in deinen alten Fehler.«
»Und der nennt sich?«
»Ein liebenswürdiger Egoist zu sein. Ehedem durftest du das. Aber du bist heute nicht mehr der, der du vor einem Jahre warst, und hast heute kein Recht mehr, so bon gré, mal gré von deinem gewohnheitsmäßigen zweiten Dezember zu sprechen.«
»Ich verstehe dich nicht.«
»Oh, du verstehst mich sehr gut; ich seh es an dem Zucken um deinen Mund. Aber ich kann alles, was ich zu sagen habe, dir schließlich in einem einzigen Worte sagen, und dies eine Wort ist ein Name.«
»Hat sie geklagt?«
»Mit keiner Miene; solche Naturen klagen nicht. Aber ob sie nun geklagt hat oder nicht, das bleibt bestehen: du mutest ihr mehr zu, als sie tragen kann. Und wenn ich vorher von Wien sprach und von unserer Abreise dahin, so heißt das einfach: sie muß aus dieser Einsamkeit heraus.«
»Einsamkeit. Was heißt Einsamkeit? Ich hab es in ihre Wahl gestellt, ob sie Besuch haben wolle oder nicht, und hab ihr beispielsweise von Phemi gesprochen. Sie hat es aber abgelehnt. Das war, ehe ihr kamt, ja, ehe wir wußten, daß ihr kommen würdet. Nun seid ihr seit einem Monat hier, und jeder Tag ist so bunt wie das Laub im Park draußen und so plapperhaft wie ein Elsternest.
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