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Gralszauber

Titel: Gralszauber Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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einem
dicht geschlossenen Blätterdach, durch das goldenes Sonnenlicht schlüpfte.
    Lancelot stand auf. Irgendetwas huschte zwischen seinen Füßen hervor und verschwand, bevor er es erkennen
konnte, aber Lancelot hatte einen flüchtigen Eindruck von
einem winzigen weißen Körper und sirrenden Libellenflügeln.
    Langsam drehte er sich einmal im Kreis, und je mehr er
wahrnahm, desto sonderbarer kam ihm dieser Wald vor.
Es gab kein Unterholz, aber hier und da wuchsen fremdartige Pilze oder Blumen, wie er sie noch nie zuvor gesehen hatte.
Nein, dies waren gewiss nicht die sumpfigen Wälder
rings um Malagon und auch nicht um Camelot. Er hatte
überhaupt noch nie von einem Wald wie diesem gehört.
Vielleicht hatte er sich ja getäuscht. Vielleicht hatte Morgaine le Faye ihn getötet und das hier war es, was einen
auf der anderen Seite erwartete.
Er sah an sich herab, und was er erblickte, das ließ ihn
doch an dieser Vorstellung zweifeln. Er trug noch immer
die Gralsrüstung. Schild, Schwert und Helm lagen neben
ihm im Moos. Wenn das das Paradies war, wozu brauchte
er dann eine Rüstung und Waffen?
Aber wenn er nicht tot war, wo war er dann?
Er würde es nicht herausfinden, wenn er weiter hier herumstand und seine Zeit damit vertrödelte, sich zu wundern.
Lancelot hob Schwert und Schild auf und befestigte beide an ihrem Platz, dann klemmte er sich den Helm unter
den linken Arm und machte sich auf den Weg. Er schlug
keine bestimmte Richtung ein, sondern marschierte einfach los und versuchte nur einigermaßen geradeaus zu
gehen, um nicht im Kreis zu laufen ohne es zu merken. Er
hatte von Fällen gehört, in denen Menschen auf diese
Weise zu Tode gekommen waren.
Mindestens eine Stunde lang ging er so zwischen den
Stämmen des unheimlichen Elfenbeinwaldes hindurch, bis
es vor ihm heller zu werden begann. Offensichtlich war er
nicht im Kreis gelaufen, sondern wirklich geradeaus. Er
näherte sich dem Waldrand.
Lancelot schritt rascher aus – und blieb mit einem ungläubigen Keuchen stehen.
Vor ihm fiel das Land sanft und über Meilen und Meilen
hinweg ab, bis es am Ufer eines unendlichen, dunkel azurblauen Meeres endete. Er entdeckte mehrere kleine Ansiedlungen oder Höfe auf dieser gewaltigen grünen Ebene,
aber nur eine davon war nahe genug um Einzelheiten erkennen zu können.
Das Wenige, was er sah, war erstaunlich genug.
Die Häuser wirkten auf eine schwer in Worte zu fassende Weise grazil und zerbrechlich, obwohl sie eine ansehnliche Größe hatten. Die Dächer waren sonderbar geschwungen und es gab keine Kamine, als herrsche in diesem Land immer währender Sommer. Eine Anzahl winziger, vornehmlich hell gekleideter Gestalten bewegte sich
zwischen den Gebäuden. Auf halber Strecke zwischen
dem Waldrand und der kleinen Ansiedlung weideten Pferde; vielleicht ein Dutzend. Sie waren ausnahmslos von
strahlendem Weiß.
Und jedem einzelnen wuchs ein handlanges, gedrehtes
Hörn aus der Stirn.
Lancelot fuhr sich ungläubig mit der Hand über die Augen, aber es blieb dabei. Unter ihm weidete eine Herde … Einhörner!

Mindestens zwei oder drei Minuten lang stand er einfach
da und starrte die Fabelwesen an, dann drehte er sich langsam herum – und schrie nun wirklich vor Überraschung
laut auf.
    Auch zu seiner Linken fiel das Land sanft zum Meer hin
ab, wenn auch nicht ganz so unendlich weit wie auf der
anderen Seite.
    Und unter ihm am Strand lag Camelot.
Natürlich war es nicht wirklich Camelot. Es war das,
was Camelot vielleicht irgendwann einmal hatte werden
sollen; die Vision, die hinter der aus Stein erbauten Stadt
steckte.
Dieses Camelot war zehnmal so groß wie das König Artus’ und hundertmal so prachtvoll, denn seine Mauern
bestanden tatsächlich aus Gold. Tausende und Abertausende von Menschen mussten in seinen Mauern leben und
allein die Burg erschien Lancelot gewaltig genug, um
mehr Einwohnern Platz zu bieten als die ganze Stadt auf
der anderen Seite.
Dennoch war die Ähnlichkeit unübersehbar. Wie das
Camelot König Artus’ war auch diese Stadt an drei Seiten
von Wasser umschlossen, wenn es auch auf einer Halbinsel lag statt in einer Flussbiegung, und ihre Architektur
folgte den gleichen komplizierten Regeln: Die Häuser
wurden zur Stadtmitte hin allmählich höher und bildeten
vier, wenn nicht fünf oder sechs ineinander liegende Verteidigungswälle, die es jedem Angreifer nahezu unmöglich
machten, bis zur Burg vorzudringen. Die Stadt wirkte wie
ein gemauertes Gebirge,

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