Gralszauber
Beispiel dir den Hals retten«, sagte er. »Aber was
tust du hier, mitten in der Nacht?«
»Aber Ihr habt doch selbst gesagt, dass ich früh kommen
soll!«, sagte Dulac. »Artus und die anderen wollen heute
mit ihren Waffen üben. Und Ihr wisst doch, was dann immer passiert.«
Dagda nickte. Dulac konnte den Ausdruck auf seinem
Gesicht nicht erkennen, denn er stand jetzt wieder zu tief
in den Schatten. »Ja, jetzt, wo du es sagst … ich werde
allmählich alt, fürchte ich. Dann geh. Warte unten am
Fluss auf mich.«
»Und wie lange werdet Ihr … wegbleiben?«, fragte Dulac.
»Solange es eben dauert«, antwortete Dagda unwillig. Er
machte eine entsprechende Handbewegung. »Geh jetzt!«
In seiner Stimme war plötzlich eine Schärfe, der Dulac
nicht mehr zu widersprechen wagte. Er drehte sich halb
herum und machte einen Schritt, blieb dann aber noch
einmal stehen und sah zu Dagda zurück.
Genauer gesagt: zu der Stelle, an der Dagda gerade noch
gestanden hatte.
Er war verschwunden.
Dulac beeilte sich nun, den Weg zur Burg und die gute
halbe Stunde zu der Stelle am Flussufer hinunterzulaufen,
an der Artus und seine Ritter normalerweise ihre Waffenübungen abhielten. Er war fast sicher, dass Stan und die
beiden anderen nach Hause gerannt waren, als wäre der
Leibhaftige persönlich hinter ihnen her, aber man konnte
schließlich nie wissen … Es war auf jeden Fall besser,
wenn er vorsichtig war. Sein Bedarf an Abenteuer war für
den Moment mehr als gedeckt. Der an Prügel übrigens
auch.
Bei der Erinnerung an die hässliche Szene verdüsterte
sich sein Gesicht. Er hatte Dagda gegenüber zwar behauptet, dass ihm der Zwischenfall nichts ausmachte, aber das
stimmte nicht. Es stimmte ganz und gar nicht.
Dulac kochte innerlich vor Wut, wenn er daran zurück
dachte. Es waren nicht die Schläge, die er bekommen hatte. Das war er gewohnt. Außerdem hatte er deutlich mehr
ausgeteilt als eingesteckt; jeder der drei würde am nächsten Morgen mit einer hübschen Sammlung blauer Flekken und Schrammen aufwachen, die der Dulacs kaum
nachstand.
Aber was unendlich mehr wehtat, war die Erniedrigung.
Stan und die beiden anderen hatten ihn gequält, seit er in
der Stadt war. Und im Laufe der Jahre war es schlimmer
geworden. Je älter Stan, Mike und Evan wurden, desto
derber wurden auch die Scherze, die sie sich mit ihm erlaubten, und seit einigen Monaten wurde es wirklich gefährlich. Der Moment war abzusehen, wo einer von ihnen
(vermutlich Dulac) wirklich ernsthaft verletzt werden
würde, und wenn Stan noch ein wenig älter wurde und
vielleicht eines Tages eine Waffe in die Hand bekam …
Nein, Dulac wollte lieber nicht daran denken, was dann
geschah. Irgendwann einmal, das wusste er einfach, würde
er es ihnen heimzahlen. Wenn er erst einmal eine Rüstung
trug und seinen Platz an König Artus’ Tafel innehatte …
»Bis dahin ist es aber noch ein weiter Weg, mein Junge.«
Diesmal erkannte Dulac die Stimme sofort. Erschrocken
fuhr er herum.
»Und ich fürchte fast, er ist ein bisschen zu weit, als
dass du ihn gehen könntest«, fuhr Artus fort. In seiner
Stimme war ein ganz sachter, tadelnder Ton, aber er lächelte und irgendwie spürte Dulac, dass er nicht zornig
war.
Trotzdem wich er rasch zwei oder drei Schritte zurück
und senkte den Blick. Ihm wurde erst jetzt mit gehörigem
Schrecken klar, dass er einen Teil seiner Gedanken wohl
laut ausgesprochen haben musste, sodass Artus sie gehört
hatte.
»Verzeiht, Herr«, murmelte er. »Ich wollte nicht –«
»Was?«, unterbrach ihn Artus. »Träumen? Aber dafür
musst du dich nicht entschuldigen. Träume sind das kostbarste Gut, das Menschen ihr Eigen nennen.«
Dulac verstand nicht wirklich, was Artus meinte – aber
er war auch viel zu sehr von Ehrfurcht gepackt, als dass er
wirklich darüber hätte nachdenken können. Obwohl fast
kein Tag verging, an dem er den König nicht sah, nahm
Artus doch normalerweise kaum Notiz von ihm. Und dass
er ihn ansprach – außer um ihm einen Befehl zu erteilen –,
kam so gut wie niemals vor. Dulac hatte sich schon ernsthaft gefragt, ob Artus überhaupt wusste, wer er war.
»Ich fürchte, ich … ich verstehe nicht ganz, was Ihr
meint, Herr«, stammelte er.
Zu seiner Überraschung lächelte Artus, als hätte er etwas
ungemein Komisches gesagt. »Dann bist du ein sehr
glücklicher Junge«, sagte er und lachte leise.
»Du willst also ein Ritter werden«, fragte er nach einer
kurzen Pause. »Nun, wenn es
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