Gran Reserva
einer sportlichen Figur, aber nicht hager, sondern mit weiblichen Formen. Eigentlich war sie so gar nicht sein Typ. Der war eher androgyn, mit langen Beinen und messerscharfen Wangenknochen. Doch mit einem Mal, mit einem Blick, hatte er keinen Typ mehr.
Obwohl sie völlig anders aussah, erinnerte Cristina ihn an die Frau, die vielleicht seine große Liebe war. Mit dieser Frau, die ihren Namen tief und mit größter Sanftheit in sein Herz geritzt hatte, war er nur wenige Wochen zusammen gewesen – doch für das Herz zählte nur Qualität, nicht Quantität. Beziehungen, die viele Jahre gedauert hatten, wie die mit Esther, verblassten neben dieser, die ihm im Nachhinein wie eine Sternschnuppe vorkam. Völlig unerwartet war sie aufgetaucht, wunderschön und hell, doch viel zu schnell verglüht.
Da war es wieder, dieses Gefühl, das er damals gehabt hatte, dieses Unbeschreibliche, das man Liebe auf den ersten Blick nennt. Diese unglaubliche Verbundenheit, und gleichzeitig diese Sehnsucht, endlich dort anzukommen, wo die Welt einen nicht mehr schwindlig dreht. An der Seite des Menschen, zu dem man gehört.
Schrecklich romantisch.
Seit Jahren nicht mehr Maxʼ Art.
Vielleicht bildete er sich das alles auch nur ein.
Oder es waren die Nachwirkungen des Tomatensaftes.
»Dann lassen Sie uns einfach beginnen, ja?« Sie breitete die Arme aus. »Willkommen in La Rioja, einem uralten Weinland. Als die Römer zu uns vordrangen – das war im ersten Jahrhundert nach Christus –, lebte hier ein Volk, das sie Celtiberi nannten – iberische Kelten. Diese zertraten Trauben in Steintrögen und ließen den Saft in Amphoren oder Zisternen laufen. Die Römer, dem Wein seit jeher zugetan, zeigten den Celtiberi, wie es noch besser ging. Springen wir nun ein wenig und noch ein bisschen mehr bis ins 16. Jahrhundert, als der Export spanischer Weine begann, nach Frankreich, Italien und Flandern. Schon 1560 schlossen sich die Winzer zu einem Verband zusammen, der ein einheitliches Brandzeichen für seine Fässer verwendete, um so die Herkunft der Weine zu garantieren. Der Wein wurde damals noch fast genauso zubereitet wie zu Zeiten der Römer und in Lederbeuteln transportiert. Erst später inspirierte der Bordeaux die spanischen Winzer dazu, Holzfässer nicht nur zum Transport, sondern zum Ausbau der Weine im Keller zu verwenden. Es entstand ein völlig neuer Weinstil, den wir heute klassisch nennen und dem wir uns noch immer verpflichtet fühlen. Willkommen bei Bodegas Faustino!«
Max fotografierte. Allerdings nicht die Bodega, sondern nur Cristina. Er suchte nicht die schönste, sondern die wahrhaftigste Perspektive, die am meisten über sie verriet. Manchmal waren es nur ihre strahlenden Augen oder die Art, wie sie ihren Kopf leicht schräg hielt, wenn sie lächelte. Ein anderes Mal waren es die ausladenden Bewegungen ihrer Hände, wenn sie etwas erklärte. Kleinigkeiten verrieten so viel, wenn man nur darauf achtete. Am häufigsten aber suchte er die Persepektive, von der er ihr linkes Ohr am besten aufs Bild bekam, denn das hatte es ihm angetan. Drei wunderschöne Perlenohrringe trug Cristina darin, darüber befanden sich drei kleine Leberflecke genau nebeneinander, sodass es aussah, als besäße sie drei weitere Ohrlöcher. Eine Frau mit eingebauter optischer Täuschung! Unfassbar. Und ein schönes Ohr war es noch dazu. Perfekt gerundet, nicht zu groß, eher klein, geradezu niedlich. Wie hätte er nicht Foto um Foto davon schießen können?
»1926 wurde der Consejo Regulador gegründet – ein Ausschuss, der Vorschriften festlegte, wie Wein erzeugt werden muss, der das Zeichen D.O. tragen darf: Denominación de Origen. Dieses garantiert seine Herkunft. Rioja-Wein war seit jeher sehr gefragt, auch von den Pilgern auf dem Jakobsweg, die maßgeblich zum Reichtum der Region beitrugen. Der spanische Bürgerkrieg und der Zweite Weltkrieg warfen die Winzer jedoch weit zurück, und es dauerte bis in die Sechzigerjahre des 20. Jahrhunderts, bis der Wein wieder zu verdienter Blüte kam. 1991 wurde Rioja dann D.O.Ca: Denominación de Origen Calificada. Die strengste Ursprungsbezeichnung. Man kann guten Gewissens sagen, dass bis in die 1980er-Jahre nahezu alle großen spanischen Weine aus der Rioja kamen. Und einige davon werden Sie heute verkosten.«
Max fühlte sich fast genötigt zu klatschen, ließ es aber dann. Alleine klatschen war irgendwie komisch.
»Folgen Sie mir bitte.«
Max hatte gehofft, zuerst verkosten und sich dann
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