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Granatsplitter

Granatsplitter

Titel: Granatsplitter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: K Bohrer
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ganz Belgravia, wie der Stadtteil hieß, bestand aus diesen Prachthäusern und gehörte dem Herzog von Westminster, der allerdings manche Wohnungen zu einem geringeren Preis als üblich an adlige Familien vermietete.
    Als er auf den Buckingham Palace stieß, überkam ihn eine heftige Vorstellung von der unendlichen Macht dieses Landes. Irgendwie schien sie unvergänglich. Merkwürdigerweise dachte er nicht länger an die Krönung der jungen Elizabeth, die in diesem Jahr alle Welt im Fernsehen hatte verfolgen können. Auch er hatte das zu Hause im Fernsehen verfolgt und sich an der prunkvollen Zeremonie, an den gewaltigen Chören nicht satt sehen können. Seine einzelnen Eindrücke über die noch immer vorhandene englische Macht liefen auf einen Punkt zu, als er schließlich in der St Paul’s Kathedrale stand. Unglaublich, was für eine Architektur, was für eine Entscheidung, so zu bauen. Dieser Barock! Genau zu dem Zeitpunkt, als das britische Empire wirklich begann, war dieses Wunderwerk errichtet worden. Das Innere der Kathedrale war voll von Erinnerungszeichen an das Empire. Er sah sich jede Statue und jede Büste an, die ihm bewusst machten, dass an den meisten der Orte, wo Siege und auch Niederlagen in den Marmor eingeschrieben waren, noch immer die britische Herrschaft stand.
    All diese auf der ganzen Weltkugel verstreuten Namen, ob Rhodesien, ob Südafrika, Singapur, Burma, Hongkong, Sudan, Suez, Irak, die West-Indies, Malta und was sonst noch für Regionen oder Länder, die vor hundert, zweihundert Jahren oder noch früher erobert worden waren, aber noch immer von der britischen Krone kontrolliert wurden. Und dazu kamen die Länder des Commonwealth und der Dominions. Noch immer waren Australien, Neuseeland, Kanada eng mit England verbunden, die ja im Krieg beträchtliche Truppenhilfe geleistet hatten. Das alles hatte eine enorme Fähigkeit zur Verwaltung erfordert, die aus solcher jahrhundertealten Erfahrung kam. Das hatte ja immer nur eine Handvoll Engländer, Schotten oder Iren gemacht! Bewundernswert, einfach bewundernswert. Selbst die entschlossene Art, wie der letzte englische Vizekönig von Indien, Lord Mountbatten, die Teilung Indiens vorbereitet und durchgesetzt hatte, war als Mischung aus Diplomatie und Tatkraft beeindruckend, auch wenn die Folgen, der Bürgerkrieg zwischen Hindus und Moslems, furchtbar waren.
    Ihm war nie zuvor bewusst gewesen, wie einflussreich Großbritannien in der Welt gewesen war und zum Teil noch immer war. Vor allem im Vergleich mit dem eigenen Land. Dort gab es zwar keine Rationierung der Lebensmittel mehr, aber selbst der gerade wiedergewählte, auch im Ausland angesehene Kanzler kam nicht an die selbstverständliche Reputation der englischen Staatsmänner heran, von dem alten Churchill ganz abgesehen. Auch die neuen Labourführer hatten inzwischen klangvolle Namen. Zum Beispiel Aneurin Bevan. Er hatte sich sogar den für ihn exotisch klingenden Vornamen gemerkt. Der passte zu dem radikalen Ruf des ehemaligen Bergarbeiters aus Wales, der als Gesundheitsminister den berühmten Health Service erfunden hatte. Was für eine mächtige Gestalt, was für ein Charakter, Churchill fast ebenbürtig. Solche Männer hatte England seit langer, langer Zeit. Eigentlich war das eigene Land nie in der Lage gewesen, diese Vormachtstellung zu verdrängen. Dafür war es trotz seiner Wissenschaft und Technik viel zu isoliert gewesen, ohne auch nur annähernd über so viel politische und ökonomische Reserven zu verfügen wie England. Der Krieg hatte England zwar fast sein ganzes Vermögen gekostet, aber von seiner Macht war noch immer viel da. Es würde auch immer etwas davon da sein, nämlich wegen seiner Sprache, die jetzt in immer mehr Ländern gesprochen wurde. Ein fast eifersüchtiger Gedanke war dies für ihn. Nie zuvor war ihm solches in den Kopf gekommen, gewiss noch nicht damals, als er die ersten englischen Soldaten gesehen hatte. Ihm fiel jetzt wieder ein, wie viele Leute zu Hause in einer hämischen Art sagten, auch die Engländer hätten den Krieg verloren. Keiner von denen, die das sagten, war jemals hier gewesen. Es war die aus offener Schadenfreude kommende Feindseligkeit derjenigen, die tatsächlich den Krieg verloren hatten. Dazu gehörte auch, dass man sich über die englische Monarchie lustig machte, über das, was diese Leute falschen Pomp nannten. Jetzt erst war ihm klar, wie ahnungslos die waren. Sie kannten ja keine ehrwürdigen Zeremonien, sondern nur den

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