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Granatsplitter

Granatsplitter

Titel: Granatsplitter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: K Bohrer
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Einschussstelle, wo der Bomber von Abwehrartillerie getroffen worden war und wo es offenbar auch gebrannt hatte. Am meisten fesselten sie aber die eingebauten Maschinengewehre und die riesigen Patronengurte. Es war vergleichbar mit der Entdeckung der Granatsplitter vor vier Jahren, wenngleich nun nichts Phantastisches mehr an den schimmernden Patronen war. Sie waren das, was sie waren: Waffen, um zu töten.
    Überhaupt hatte die Entdeckung der abgestürzten feindlichen Maschine mitsamt ihrer toten Besatzung nichts mehr im Sinne eines Abenteuers. Sie nahmen es wahr als Annäherung an eine Gefahr und behandelten ihre Beute möglichst fachgerecht. Es war klar, dass man, soweit das ging, die Maschinengewehre und die Munition abschleppte; zu einer Verwendung, die offenblieb. Und dann waren da die riesigen Reifen, von deren Gummi man soviel wie möglich abschnitt als zukünftigen Beschlag für Schuhe. Zu dieser Beschäftigung mit dem Wunderwerk vom Himmel gehörte auch, dass er den wollenen Schal, der einem der Besatzungsmitglieder vom Hals gerutscht war, mit einem Stock aufspießte, obwohl er blutbefleckte Eisklümpchen zeigte. Er wollte ihn einer der Großmütter zum Reinigen geben, damit sie dann die Wolle auflösen und einen neuen Schal für ihn stricken könnte. Später entschied er sich anders. Er ließ den Schal nur waschen und trug ihn, wie der amerikanische Pilot ihn getragen hatte. Die Lederhaube oder die braune Lederjacke wurden den Soldaten nicht ausgezogen, obwohl man das am liebsten getan hätte. Für den frostklirrenden Monat wäre das gerade das Richtige gewesen. Und außerdem sahen sie gut aus.
    Als die Jungen am Abend ihrer Entdeckung noch einmal hintereinander hinausstapften, war das Terrain des Absturzes von Militärpolizei abgeriegelt. Vor diesem Riegel standen Menschen zuhauf, die aus den umliegenden Dörfern gekommen waren. Zu spät, um das Innere der Maschine zu sehen, wie die Jungen mit Genugtuung feststellten. Sie wussten mehr. Sie wussten nun genau, wie viele Besatzungsmitglieder und wie viele Maschinengewehre eine fliegende Festung hatte. Sie wussten auch, wo sich die Auslösungstechnik für die Bomben befand. Vor allem aber hatten sie den toten Amerikanern ins Gesicht gesehen, den Feiglingen. Die Feigheit der Amerikaner erkenne man schon daran, dass sie immer nur in den Infanteriekampf einträten, nachdem sie einen Angriff mit schwerer Artillerie und Flugzeugen vorbereitet hatten. Der einzelne amerikanische Soldat sei mit dem deutschen an Mut und Kampfkraft nicht vergleichbar. Sie hätten es nur geschafft, soweit zu kommen, weil es den Deutschen an allem, vor allem an Flugzeugen, fehlte. Es war seit langem schon das Gefühl da, den eigenen Truppen fehle alles, was die anderen im Überfluss besaßen. Ein ungleicher Kampf. Sie kämpften gegen die ganze Welt. Es ging nur deshalb so lange, weil die Fähigkeiten der eigenen Soldaten sich ins Unermessliche gesteigert hätten. Sie waren Helden wie in den Heldensagen, die er vor Jahren gelesen hatte. Auch dort kämpften einzelne gegen eine Übermacht. Siegen konnten sie nicht. Aber das war nicht das Entscheidende, jedenfalls nicht in den Sagenbüchern. Es war bekannt geworden – die alten Männer sprachen davon –, dass ein letzter Versuch, die amerikanischen Truppen nach Belgien zurückzudrängen, nicht geglückt war. Wegen des Zuwenigs an eigenen Flugzeugen, wegen des Zuviels der anderen. Auch weil nicht mehr genug Benzin zur Verfügung stand. Und hier hatte man also Angehörige der feindlichen Überlegenheit als Tote. Sie waren gestorben in ihrer fliegenden Festung. Aber da es nicht bloß die ersten Amerikaner, nicht bloß die ersten Toten, sondern die ersten toten Soldaten waren, waren die Jungen sich nicht mehr so sicher über die Feigheit der Amerikaner. Sie sahen selbst im Tode so entschlossen aus, so kriegerisch in ihren Kampfgarnituren. Jedenfalls waren sich die Jungen darüber einig, dass eine fliegende Festung nicht nur gefährlich für die Zivilbevölkerung sei, sondern auch für die, die in ihr flogen.
    Er erinnerte sich an den etwas älteren amerikanischen Jungen, der zu Anfang des Krieges die Nachbarn des irischen Großvaters besucht hatte. Tom. Der konnte sich gut verständigen und hatte ihm viel von Amerika erzählt, vor allem auf seine Bitte hin von den Indianern, die ihm eigentlich nur vom letzten Karneval vor dem Krieg her bekannt waren. Die als Indianer Maskierten hatten damals seine Bewunderung, denn sie sahen mitten im

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