Grand Cru
»Wohin bringen Sie mich?«
»Zu mir nach Hause. Wieder einmal«, antwortete Bruno. Die ganze Fahrt über sagte der Amerikaner kein Wort. Sein Blick war starr nach vorn auf die gelben Scheinwerferkegel gerichtet, in denen die Bäume am Rand der dunklen Landstraße aufflackerten.
Gigi begrüßte sie mit einem einzigen Belllaut, schnüffelte an Bondinos Hose, die wohl noch nach Zelle roch, und schlabberte mit der Zunge über sein Ohr, als er sich in die Hocke begab und ihn streichelte. Überraschend schnell fand der Amerikaner die Stellen, an denen sich Gigi besonders gern streicheln ließ: auf beiden Seiten der Lendenwirbel und am Bauch, was ihm so guttat, dass er mit einem der Hinterläufe verzückt zu strampeln anfing. Lächelnd flüsterte der Amerikaner ihm ein paar liebe Worte zu, worauf sich Gigi auf die Hinterläufe stellte und ihm seine Vorderpfoten auf die Brust legte. Dass Bondino Hunde mochte, war unverkennbar. Und Hunde mochten ihn.
»Sie haben die Wahl, die Nacht hier zu verbringen oder im Hotel. Ich lasse Sie jedenfalls nicht aus den Augen.«
Bondino und Gigi folgten Bruno in die Küche, wo dieser einen Rest Suppe aus dem Kühlschrank aufwärmte, zerkleinerten Hundekuchen daruntermischte und das Ganze in Gigis Fressnapf gab. Der Amerikaner schaute sich interessiert um und war sichtlich angetan von der großen Auswahl an Eingemachtem im Regal, dem langen Knoblauchzopf und einem gerahmten Foto an der Wand, das Bruno und Stéphane in Jagdmontur zeigte, in ihrer Mitte ein erlegter Rehbock, mit den Läufen an eine Stange gebunden, und davor Gigi mit schräggestelltem Kopf und hochaufgerichtetem Schwanz. Bruno füllte noch Gigis Wasserschale und führte Bondino dann ins Gästezimmer.
»Hier oder doch lieber das Hotel?«, fragte er.
»Hier«, antwortete Bondino. »Ihr Hund gefällt mir.« Und dann: »Was kommt morgen auf mich zu?«
»Mehr Polizei und noch mehr Fragen«, sagte Bruno und reichte ihm ein frisches Handtuch aus dem Wäscheschrank. »Hier, vielleicht wollen Sie gleich duschen.« Kaum hatte der Amerikaner die Badezimmertür hinter sich zugezogen, vergewisserte sich Bruno, dass seine Waffen und die Munition weggesperrt waren.
»Möchten Sie etwas trinken?«, fragte er, als Bondino, sichtlich erfrischt, in die Küche zurückkehrte. »Kaffee, Bier, Wein?«
»Wein, bitte.«
Bruno öffnete eine Flasche seines unetikettierten Pomerols und schenkte ihm und sich ein. Er bot ihm an, auf dem Sofa Platz zu nehmen, und setzte sich in seinen Lehnstuhl am Kamin. Auf dem Tisch zwischen ihnen lagen eine Broschüre mit Gesetzesänderungen, die zu studieren er sich vorgenommen hatte, ein aus der Stadtbibliothek ausgeliehener historischer Roman von Brigitte le Varlet und die jüngste, schon sehr abgegriffene Ausgabe des Jagdmagazins
Chasseur
mit einem Hirschen auf dem Titelblatt.
»Ein sehr guter Bordeaux«, lobte Bondino. »Merlot, ein bisschen Cabernet. Ein Pomerol?«
Bruno nickte. Er war beeindruckt.
»Warum sind Sie so freundlich zu mir?«, fragte Bondino.
»Mein Hund mag Sie.«
»Halten Sie mich für einen Mörder?«
Bruno zuckte mit den Achseln. »Ich weiß, dass Sie handgreiflich werden können, vor allem, wenn Sie getrunken haben. Sie haben mich geschlagen und sind in der Bar auch auf Max losgegangen. Und dann wären da außerdem Ihre Fingerabdrücke auf einem Glas in der Nähe zweier Leichen.«
»Das muss jemand absichtlich dort hingestellt haben.«
»Sie und Max waren Rivalen, verliebt in dieselbe Frau«, fuhr Bruno fort.
»Jacqueline ist sehr schön. Ich gebe zu, ich bin verrückt nach ihr.« Bondino hob sein Glas. »Auf die Liebe.«
Bruno nickte und trank.
»Als ich ihr zum ersten Mal begegnet bin, in Kalifornien, hab ich's sofort hier drin gespürt.« Er tippte sich aufs Herz.
»In Kalifornien?« Bruno merkte auf. »Ich dachte, Sie hätten sich in Saint-Denis kennengelernt.«
»Nein, an der Uni. Sie hat bei einem Professor studiert, dessen Lehrstuhl für Weinbau von meiner Familie finanziert wird. Ich war bei ihm, um mir eine Region in Frankreich empfehlen zu lassen, in die es sich zu investieren lohnt. Während wir miteinander redeten, kam Jacqueline in sein Büro. Ich habe sie nur zwei Minuten angesehen und war sofort hin und weg.«
»Was hat der Professor gesagt?«
»Dass ich an der Dordogne sehr gute Bedingungen antreffen würde. Seine Ausführungen über die Geschichte des Weinanbaus hier im Tal habe ich auch schriftlich. Außerdem gab er mir den Rat, Hubert de Montignac in
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