Grand Cru
Gestalt an. Er schlug die Akte auf, in der er sein Material über die Familiengeschichte der Bondinos gesammelt hatte, las es aufmerksam durch und machte sich Notizen. Er warf einen Blick auf die Uhr. Jacqueline würde noch mindestens drei Stunden in der
cave
arbeiten. Er rief Nathalie an und bat sie, in Jacquelines Personalakte nachzuschauen, wann sie sich für die Praktikantenstelle in der Kellerei beworben hatte. Danach rief er Pamela an, um zu hören, ob sie von der Beerdigung schon wieder nach Hause zurückgekommen war. Kaum hatte er den Hörer aufgelegt, klingelte das Telefon. Er glaubte, Nathalie würde zurückrufen, doch es meldete sich eine andere, sehr viel vertrautere Stimme.
»Ich bin auf dem Rückweg und rufe von einer öffentlichen Telefonzelle aus an«, sagte Isabelle. »Ich will nicht, dass der Anruf registriert wird, weil ich das, was ich dir mitteilen will, eigentlich nicht sagen darf. Aber es könnte Jean-Jacques aus der Klemme helfen.«
»Schieß los.«
»Wir haben in Luxemburg Einblick in die Bankunterlagen von Agricolae genommen. Frag gar nicht erst, wie wir das angestellt haben. Jedenfalls wissen wir jetzt von einer stattlichen Summe - hundertzwanzigtausend Euro -, die Bondino am 17. Juli auf deren Konto überwiesen hat. Das sollte Jean-Jacques wissen. Und du musst jetzt herausfinden, ob der Brandanschlag tatsächlich dem Versuchsfeld von Agricolae gegolten hat oder nicht vielleicht unserem amerikanischen Freund.«
»Aber der Fall ist doch gelöst«, entgegnete Bruno, verwundert über den Klang ihrer Stimme.
»Ich weiß. Und Jean-Jacques glaubt, dass Bondino den Brandstifter umgebracht hat. Wie dem auch sei, der Deal zwischen ihm und Agricolae könnte die Verbindung sein, die Jean-Jacques aufzudecken versucht. Ich schicke dir eine Kopie der Überweisung per Post, um keine elektronischen Spuren zu hinterlassen.«
»Danke für die Information«, sagte Bruno. »Aber warum rufst du nicht gleich Jean-Jacques an?«
»Für meinen Job und in Anbetracht von Jean-Jacques' Schwierigkeiten wäre das sicher unklug.«
»Soeben habe ich vom
brigadier
erfahren, dass Jean-Jacques nichts mehr zu befürchten hat.«
»Gut zu hören. Trotzdem. Es ist sicherer, wenn du ihm mitteilst, was ich herausgefunden habe.« Sie legte eine Pause ein. »Außerdem wollte ich deine Stimme hören.«
Bruno machte die Augen zu. »Ich hatte gehofft, du würdest dich eher melden.«
»Ich hatte viel zu tun - und musste nachdenken«, erwiderte sie. »Ich habe eine Entscheidung für mich getroffen.«
»Lass hören.« Bruno konzentrierte sich auf ihre Stimme, um sich keine Nuance, nichts, was irgendwie von Bedeutung war, entgehen zu lassen.
»Wenn wir uns wiedersehen, dann in Paris. Dort wird sich mein Leben abspielen.« Die Worte sprudelten aus ihr heraus.
»Ich will nicht nach Paris gehen«, sagte Bruno. »Diese Stadt ist nichts für mich.«
»Nicht einmal für einen Besuch?«
Um das Gezerre endlos fortzusetzen? Bruno schüttelte den Kopf und schwieg.
»Wir werden sehen. Irgendwann bist du die Provinz da unten leid«, sagte sie. »Ich vermisse dich.« Dann legte sie auf.
Bruno holte tief Luft. Er spürte, wie sich sein Puls beschleunigt hatte, und hoffte, sich richtig verhalten zu haben. Dass er Isabelles Einladung ausgeschlagen hatte, erschien ihm vernünftig, doch wenn er seinem Gefühl nachgegeben hätte, wäre er in den nächsten Zug nach Paris gestiegen.
Das Klingeln des Telefons riss ihn aus seinen Gedanken. Nathalie berichtete, dass sich Jacqueline am 30. Mai beworben hatte. Das war sechs Wochen vor Bondinos Zahlung an Agricolae, aber nach ihrer Begegnung im Büro des Professors, wo sie von seinem Vorhaben, ins Tal der Vézère zu reisen, erfahren hatte. Was hatte sie zu dem Entschluss geführt, in Saint-Denis zu arbeiten? Bruno schnappte sich seine Schirmmütze und die Wagenschlüssel, eilte nach unten auf die Straße und schwang sich hinters Steuer. Vor dem Hôtel Saint-Denis hielt er kurz an, um eine Auskunft einzuholen. Dann rief er Jean-Jacques an und bat ihn, so schnell wie möglich zu Pamelas Haus zu kommen.
41
Pamela saß mit einer Brille auf der Nasenspitze am Küchentisch und führte Buch. Vor ihr lagen jede Menge Quittungen und Papiere. Überrascht blickte sie auf, als Bruno anklopfte und eintrat. Doch dann ging ein Lächeln über ihr Gesicht. Sie stand auf, kam auf ihn zu, legte eine Hand an seine Wange und gab ihm einen Kuss auf die Lippen. Er umarmte sie und erwiderte ihren Kuss voller
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