Grand Cru
Leidenschaft, ließ aber dann von ihr ab.
»Ich bin leider dienstlich hier«, sagte er. »Und zwar wegen dieser Familienfotos und Zeitungsausschnitte, die dir in Jacquelines
gîte
aufgefallen sind. Ich muss sie sehen, bevor Jacqueline zurückkommt. Würdest du mir bitte Ihren Schlüssel geben? Wie gesagt, es ist dienstlich. Jean-Jacques wird gleich hier sein.«
»Was um alles in der Welt...« Sie riss sich die Brille von der Nase und ordnete ihr Haar, obwohl daran eigentlich nichts zu beanstanden war. »Ist das rechtens? Braucht man dafür nicht einen Durchsuchungsbefehl oder so etwas?«
»Du bist die Eigentümerin. Hat Jacqueline einen Mietvertrag unterschrieben?« »Noch nicht.«
»Dann ist es legal. Komm, wir haben nicht viel Zeit.« Sie nahm einen Schlüssel vom Schlüsselbord neben der Tür und führte ihn über den Hof. »Würdest du mir bitte erklären, was los ist?«
»Ich habe gerade herausgefunden, dass ihre Mutter eine geborene Bondino ist. Es gab in der Familie einen heftigen Streit über Besitzansprüche auf das Weingut, eine regelrechte Fehde. Deshalb möchte ich diese Unterlagen und Fotos sehen. Und da wohl die meisten Texte auf Englisch sind, brauche ich deine Hilfe.«
Jacquelines Laptop lag zugeklappt auf dem Tisch. Dahinter stapelten sich Weinbücher. In einer Aktentasche, die am Tischbein lehnte, fand Bruno die gesuchten Aktenordner. Sie waren unbeschriftet, aber voller Material über die Familie und das Unternehmen der Bondinos. Im ersten steckten Porträtaufnahmen, die auf der Rückseite mit Namen gekennzeichnet waren, zum großen Teil Abbildungen des Mannes, den Bruno aus verschiedenen Zeitungen als Bondinos Vater und Geschäftsführer des Familienunternehmens kannte. Manche Fotos zeigten ihn als jungen Mann. Auf einem war er mit einem kleinen Mädchen im Arm zu sehen. Auf der Rückseite stand mit Bleistift geschrieben: »fxb,
Maman,
1957.« fxb stand wohl für Francis X. Bondino, Fernandos Vater, und mit Maman war vermutlich Jacquelines Mutter gemeint.
»Diese Unterlagen hier beziehen sich auf das Unternehmen, auf Bilanzen, Geschäftspläne und Gewinnerwartungen für dieses und nächstes Jahr«, sagte Pamela, die plötzlich ganz eifrig wirkte. »Ich frage mich, wie sie an das Material herangekommen ist, zumal die meisten Papiere streng vertraulich sind.«
»Lass mal sehen«, sagte Bruno. Mit den kleingedruckten Zahlenkolonnen und Diagrammen konnte er allerdings wenig anfangen. Er blätterte die erste Seite wieder auf, ein Schreiben, das in der Kopfzeile ein paar Kürzel auflistete und auf den 20. August dieses Jahres datiert war, also erst einen Monat alt. Wie hatte Jacqueline an dieses Schreiben herankommen können? »Was steht da?«, fragt er und zeigte auf den Begriff, der vor den Kürzeln stand.
»>Distribution restricted<
soll heißen, dass dieser Brief nur an die namentlich genannten Personen verteilt werden darf. Das sind fxb, fxb junior und zwei weitere Personen. Deren Initialen stehen für den Leiter der Finanzabteilung und den Vertriebschef. Eigentlich dürften nur diese vier dieses Schreiben kennen. Wie kommt es in Jacquelines Hände?«
»Keine Ahnung. Als dieses Schreiben aufgesetzt wurde, war sie bereits in Frankreich. Es muss ihr also hier in die Finger gefallen sein. Wahrscheinlich hat sie es von Bondino.« Bruno stockte. »Aber wieso sollte er ihr vertrauliches Material zuspielen?«
»Vielleicht hat sie es ihm heimlich entwendet«, sagte Pamela. »Es könnte aber auch sein, dass sie es auf den Anhang abgesehen hat. Hier, die nächste Seite. Darin geht es um Saint-Denis.«
»Was?« Bruno schaute ihr über die Schulter. »Was steht da?«
»Es ist ein Bericht unseres Forschungsinstituts über dürreresistente Weine, dazu die Kopie einer Bankanweisung von Bondino an eine Firma namens Agricolae über hundertzwanzigtausend Euro zur finanziellen Förderung der Forschung hier in Saint-Denis. Und da ist noch eine Zahlung: zweihunderttausend Euro an einen gewissen Dupuy in Paris. Die Überweisungen wurden im Juli dieses Jahres ausgestellt.«
»Kein Wunder, dass Bondino über den Brandanschlag auf das Versuchsfeld so sauer war«, sagte Bruno. »Sein Geld hat sich in Rauch aufgelöst.«
»Wie konnte sich Jacqueline all das beschaffen? Das grenzt ja an Spionage. Glaubst du, sie hat Max von all dem erzählt, von Bondino und dem Forschungsinstitut?«
»Gute Frage. Mal sehen, was in dem anderen Ordner steckt.«
Er enthielt Einzelheiten über einen Rechtsstreit - Bondino gegen
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