Grand Cru
am liebsten die Augen ausgekratzt. Aber so ist es nun mal mit den jungen Dingern, die herausfinden wollen, wie sie auf Männer wirken.«
»Ist das nur bei den jungen so?«, fragte Bruno schmunzelnd, den Blick auf die schmale Straße gerichtet.
»Ich hoffe doch, dass die älteren etwas subtiler vorgehen. Sie ist Anfang zwanzig, frisch von der Uni. Na, eigentlich müsste sie schon ein bisschen reifer sein«, sagte Pamela.
Bruno fühlte sich pudelwohl unter dem Eindruck dieser sonderbaren Mischung aus Nähe und Distanz. Er kam sich fast vor wie in einem Beichtstuhl.
»Was hat Sie denn eigentlich nach Saint-Denis gebracht?«
»Eine Scheidung. Ich habe viel zu früh geheiratet, gleich nach der Uni. Mein Mann war Banker und von frühmorgens bis spätabends in seinem Büro. Die übliche Geschichte halt. Er hat sich in seine Sekretärin verliebt. Na ja, im Grunde liebte er nur das Geld, aber sie war zufällig in der Nähe und stand ihm zur Verfügung. Ich habe an einer Schule unterrichtet, hatte auch Spaß daran, aber nicht so sehr, dass ich's zu meinem Lebensinhalt hätte machen wollen. In Frankreich zu leben war immer schon mein Wunsch gewesen. Also haben wir das Haus verkauft und einen sauberen Schnitt gemacht, was mir die Gelegenheit gab, hierherzukommen und mir meinen Kindheitstraum zu erfüllen: Pferde. Für mich war's eine glückliche Entwicklung, aber er, der arme Kerl, hat nun schon die zweite Scheidung hinter sich.«
»Was haben Sie unterrichtet?« Bruno war schon lange neugierig darauf, mehr über Pamelas Vergangenheit zu erfahren. Und was hatte es zu bedeuten, wenn sie ihren Exmann als »armen Kerl« bezeichnete? Fühlte sie sich ihm immer noch verbunden?
»Geschichte und Französisch. Ich hatte die Klassen sieben bis zehn, Schüler und Schülerinnen, die mir, wenn wir in Paris auf Klassenfahrt waren, schlaflose Nächte bereitet haben. Ich weiß nicht mehr, wie off ich schon am Eiffelturm und im Sacré-Cœur gewesen bin oder die Mona Lisa gesehen habe. Als wir einmal im Hôtel des Invalides waren, ging ein Mädchen verloren, ein kleiner Teufel, dem ich es zugetraut hätte, das Grab Napoleons zu plündern.«
»Genau so stelle ich mir Jacqueline als Kind vor.«
»Ja, Bruno, ich komme mir in ihrer Gegenwart auch wie eine alte Gouvernante vor. Ich weiß noch gar nicht, ob sie Pferde mag beziehungsweise reiten kann. Es wäre mir eine große Hilfe, wenn sie sich ein bisschen um meine Tiere kümmern könnte. Apropos, Fabiola, unsere neue Ärztin, hat in der Hinsicht schon Interesse angemeldet.«
»Vielleicht könnten Sie mir irgendwann auch mal das Reiten beibringen«, sagte Bruno. »Ich meine, richtig zu reiten. Ich weiß noch, wie Sie und Ihre Freundin Christine im Sommer über die Felder galoppiert sind. Ein toller Anblick, der mich richtig neidisch gemacht hat.«
»Wenn man uns zusammen reiten sieht, gibt's in der Stadt wahrscheinlich viel Getuschel. Trotzdem, ich würde es Ihnen gern beibringen, vorausgesetzt, Sie haben Geduld.«
»Das wäre ein Projekt für den Winter«, sagte Bruno und staunte selbst ein wenig, wie sehr er sich darauf freute, und zwar nicht nur auf den Unterricht.
»Beim Baron oder auch bei Hubert hätte ich meine Bedenken. Ich kann mir nicht vorstellen, dass sie sich von einer Frau leicht was sagen lassen.«
»Schon gar nicht von einer Engländerin«, entgegnete er und fügte lachend hinzu: »Es sind halt französische Chauvinisten, aber nette.«
Sie näherten sich Pamelas Anwesen. »Ihr Haus ist eines der schönsten in unserer Gegend«, schwärmte er. »Ich weiß noch, als ich es zum ersten Mal gesehen habe, im hellen Sonnenschein, so bezaubernd zwischen den Hügeln gelegen, freundlich und einladend mit seinen vielen Blumen.«
»Demnächst werden Sie die Ställe kennenlernen, Bruno. Mal sehen, ob Sie die auch so einladend finden, wenn Sie darin ausmisten.« Er bog in den Hof ein. Die Scheinwerfer streiften die alten Steingemäuer. Er stieg aus, ging um den Wagen herum und öffnete Pamela die Tür.
»Danke, Bruno, für alles. Und um acht steht Kaffee für Sie bereit.« Als sie sich mit einem
bisou
voneinander verabschieden wollten, geriet plötzlich die Choreographie ein wenig durcheinander. Bruno traf mit seinen Lippen auf ihren Mund. Verunsichert drehte er den Kopf zur Seite und gab ihr einen Kuss auf die Wange.
»Ein schönes Versehen«, sagte sie unbefangen. »Wo ist denn jetzt mein Schlüssel? Ach, typisch, ich hab ja gar nicht abgeschlossen.« Sie öffnete die Tür,
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