Grand Cru
drehte sich noch einmal um und sagte: »Gute Nacht, bis morgen.« Dann ging die Tür zu.
Bruno stand noch eine Weile auf der Stelle, leicht verwirrt über die angenehme Berührung. Gleichzeitig dachte er jedoch an seine selbst aufgestellte Regel, nämlich nie mit einer Frau aus seinem Revier anzubändeln. Aber sollte er nicht vielleicht auch einmal eine Ausnahme gelten lassen, zumal Isabelle nichts von sich hören ließ? Aber das war ja schon einmal passiert, und dann hatte sie sich wieder gemeldet. Himmel, wie kompliziert das Ganze doch war! Er klemmte sich wieder hinters Lenkrad und versuchte, an den Berg von Geschirr zu denken, der auf ihn wartete, stellte sich aber dann doch lieber vor, wie es sein würde, von Pamela Reitunterricht zu bekommen.
Als er hinter der Brücke auf die Hauptstraße von Saint-Denis einbog und an der dunklen
mairie
vorbeikam, sah er, wie Ivan in seinem
Café de la Renaissance
die Stühle auf die Tische stellte. Über der
Bar des Amateurs
am Ende der Straße brannte noch das blaue Neonlicht. Noch war nicht überall geschlossen. Plötzlich huschten vor dem erleuchteten Schaufenster des Immobilienbüros zwei Schatten vorbei. Bruno bremste ab und sah zwei Gestalten in der kleinen Gasse neben der Maison de la Presse verschwinden. Er hielt vor der Apotheke an, stieg aus und bemerkte, dass er noch das alte Handtuch als Latz vor der Hose trug. Er warf es in den Wagen und rannte los. Sekunden später hörte er ein Klatschen und den spitzen Aufschrei einer Frau.
»Guten Abend«, rief er laut, als er zu den beiden Gestalten aufgeschlossen hatte, die offenbar im Clinch miteinander lagen. »Polizei. Kann ich irgendwie behilflich sein, Mademoiselle?«
»Mischen Sie sich nicht ein. Wir diskutieren bloß«, lallte eine Männerstimme mit alkoholisiertem und ausländischem Akzent. Bruno erkannte Bondino.
»Hallo, Bruno«, sagte Jacqueline. »Es ist alles in Ordnung. Monsieur Bondino wollte sich gerade verabschieden.«
»Was ich da soeben gehört habe, klang nicht gerade freundlich.«
»Es ist wirklich nichts«, erwiderte sie. »Er wollte nur unbedingt, dass ich noch einen mit ihm trinke. Ich hab alles im Griff, Bruno.«
»Treten Sie vor, Monsieur, und zeigen Sie mir Ihre Papiere. Hier bei uns werden Frauen mit Respekt behandelt. Ich dachte, Sie wohnen in Les Eyzies. Wie wollen Sie in dem Zustand zu Ihrem Hotel kommen?«
»Er ist ins Manoir umgezogen«, erklärte Jacqueline. »Hören Sie, es ist wirklich alles okay. Ich bringe ihn jetzt zum Hotel. Er hat einfach nur ein bisschen zu viel getrunken.«
»Haben Sie ihn geschlagen?«
»Ja, damit er nüchtern wird. Kein Problem. Tut mir leid, Bruno. Als ich in die Bar gegangen bin, wusste ich nicht, wie viel er schon intus hatte.«
»Sie sollten jetzt lieber Ihr Fahrrad holen und nach Hause fahren, Jacqueline. Ich bringe den Herrn zum Manoir. «
Daraufhin drehte Jacqueline sich achselzuckend um und ging langsam in Richtung
cave
davon. »Noch mal, vielen Dank, Bruno, für alles«, rief sie über die Schulter zurück, zu laut für die späte Stunde. Er winkte ihr nach und widmete sich dem jungen Mann, der auf wackligen Beinen an der Mauer lehnte. »Ihre Papiere, wenn ich bitten darf.«
Bondino reichte ihm einen amerikanischen Pass, ausgestellt auf den Namen Fernando Xavier Bondino, geboren in San Francisco. Er war gerade achtundzwanzig geworden. Bruno gab ihm den Ausweis zurück.
»Ab ins Hotel mit Ihnen.« Er legte ihm die Hand auf die Schulter und führte ihn zu seinem Transporter. Nach ein paar schleppenden Schritten riss sich Bondino los und schleuderte den Arm herum, als wollte er Bruno ins Gesicht schlagen.
Bruno wusste mit blindwütigen Trinkern umzugehen. Er packte den Arm, bog ihn hinter den Rücken und stieß Bondino mit Wucht über die Kühlerhaube. Bondino knickte in der Hüffe ein, sackte zu Boden und erbrach sich. Bruno wartete, bis er fertig war, und holte dann eine Flasche Wasser aus seiner Sporttasche.
»Hier«, sagte er. Bondino murmelte etwas wie »danke« und spülte sich den Mund aus, würgte noch ein paarmal und trank einen Schluck.
»Behalten Sie sie«, sagte Bruno. Er half ihm hoch und auf den Beifahrersitz. Das Manoir, ein kleines, teures Hotel, lag nur knapp zweihundert Meter entfernt. Alles war dunkel, das Einfahrtstor geschlossen. Bruno seufzte. Sollte er klingeln und alle wecken oder den Besitzer anrufen, der um diese Uhrzeit längst im Bett lag und schlief? Schon morgen wüsste die ganze Stadt, dass der junge Mann,
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