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Grandios gescheitert

Grandios gescheitert

Titel: Grandios gescheitert Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernd Ingmar Gutberlet
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165 Städte sowie Zehntausende Fabriken und riesige Nutzflächen für Landwirtschaft und Forstbau. Und noch schlimmer: Bei vielen Projekten wurde auch der Tod Zehntausender Menschen in Kauf genommen, vor allem Zwangsarbeiter, die den überaus harten Arbeits- und Lebensbedingungen der Großbaustellen nicht gewachsen waren.
    Stalins Nachfolger Chruschtschow behielt bei aller Demontage des Vorgängers diese Ausrichtung bei, insbesondere in der Landwirtschaft, die zunehmend industrialisiert wurde. Er ließ im Süden des Landes riesige Steppengebiete urbar machen, bei allerdings geringem wirtschaftlichem Nutzen. Daneben aber orientierte er sich in der Hochtechnologie, darunter Mikroelektronik, Atomenergie und Weltraumtechnik, vor allem am Konkurrenten USA. Das symbolische Potenzial der Eroberung des Weltalls zum Zwecke der Propaganda erkannten die Sowjets sogar vor den Amerikanern. Und tatsächlich gelang das Überholen des kapitalistischen Platzhirsches – vorübergehend zwar und vor allem in der Raumfahrt, aber der PR-Effekt war überaus groß und verpuffte auch nicht so schnell. Denn der Sputnik-Schock wurde geradezu sprichwörtlich: als die UdSSR den Systemgegner USA demütigen konnte, weil der erste Satellit im All ein sowjetischer war – und sich prompt ein jahrzehntelanges Wettrennen im Weltraum entspann, wo nunmehr sozusagen eine der Frontlinien des Kalten Krieges verlief.

Breschnews Lieblingsprojekt
    Unter Leonid Breschnew, der nach Chruschtschows Sturz 1964 das Moskauer Politbüro übernahm, besaßen Megaprojekte angesichts zunehmender Stagnation der Sowjetunion besondere Bedeutung, denn mit einigem propagandistischen Aufwand konnten sie helfen zu übertünchen, dass das Land auf der Stelle trat. Während im Westen seit den Siebzigerjahren Vor- und Nachteile groß angelegter Technikvorhaben zunehmend differenzierter gesehen wurden und eine kritische Öffentlichkeit ein gewichtiges Wort mitzureden verlangte, blieb es in der Sowjetunion bis fast zu ihrem Ende bei staat­licher Planung, ohne dass der öffentlichen Meinung sonderlich viel Berücksichtigung geschenkt worden wäre. Angesichts der staatlichen Zensur und dem Unfehlbarkeitsstatus der Partei und der Staatsführung konnte sich eine lebendige öffentliche Debatte über Sinn und Unsinn der Riesenprojekte ohnehin nicht entspinnen. Also wurden abermals große Unternehmungen angestrengt, darunter die Vollendung der unter Stalin begonnenen Eisenbahnstrecke BAM und der Bau riesiger Anlagen der Papierindustrie am Baikalsee.
    Seit dem Krieg und nach Stalins Tod 1953 war die Industrialisierung Sibiriens weiter vorangeschritten. Unter Breschnew standen seit den Sechzigerjahren zunächst Bergbau, Schwerindustrie und Energiegewinnung im Vordergrund. Zum einen wurden riesige Vorkommen an Gas und Öl entdeckt und ausgebeutet, zum anderen richtete sich das Interesse ein weiteres Mal auf hydrotechnische Projekte, die allerdings nicht allein der Energiegewinnung dienen sollten. Zum Lieblingsunternehmen Breschnews aber wurde der Versuch der Umkehrung der sibirischen Flüsse.
    Die Idee, die großen Ströme Sibiriens zum Teil umzuleiten, damit sie, statt »nutzlos« ins Nordmeer abzufließen, die trockenen Regionen im Süden des Landes und in Kasachstan bewässern können, war allerdings vergleichsweise alt. Das Problem, dass die Fließrichtung der meisten großen Flüsse nach Norden der Entwicklung des Landes nicht dienlich war, beschäftigte Ingenieure und Technokraten schon seit Langem. Bei allem Wasserreichtum Sibiriens besteht nun einmal der nachteilige Umstand, dass der bedürftige Süden davon noch am wenigsten abbekommt – ungefähr ein Sechstel des Wassers geht nach Süden, der große Rest dagegen nach Norden. Bereits 1868 schlug daher der Agronom und Klimatologe Demtschenko der Russischen Gesellschaft für Geographie vor, den Fluss Ob einschließlich seiner Zuflüsse sowie den Jenissei nach Zentralasien umzulenken, statt nach Norden abfließen zu lassen. Ziel war die Anhebung des Wasserspiegels des Kaspischen Meeres um 70 Meter. Dieses wäre damit auch hinsichtlich seines Umfangs erheblich angewachsen und hätte eine Verbindung zum Asowschen Meer erhalten, ein zwischen der Ukraine, Russland und der Halbinsel Krim gelegenes Nebenmeer des Schwarzen Meers. Demtschenko wollte mit der größeren Wasserfläche erreichen, dass mehr Wasser verdunsten kann und dadurch die Niederschläge in der eher trockenen Region zunehmen. Das sollte die Erträge der Landwirtschaft

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