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Grandios gescheitert

Grandios gescheitert

Titel: Grandios gescheitert Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernd Ingmar Gutberlet
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Hilfe eines Systems von Staudämmen gar vollends seine Fließrichtung geändert. Das war nichts weniger als eine Revolution gegen die Natur, ersonnen, um ökologisch desaströsen Symptomen abzuhelfen, deren Ursachen viel tiefer lagen und auf frühere Umweltsünden zurückgingen.
    Ein gigantischer Kanal namens Sibaral sollte über 2.200 Kilometer ein Wasserreservoir nördlich des Aralsees speisen. Kein hydrotechnisches Projekt dieser Größenordnung war jemals angestrengt worden, weder in der Sowjetunion noch anderswo. Allein der Maßstab und der Aufwand, der über Jahrzehnte dafür getrieben wurde, machten daraus so etwas wie einen überdimensionierten Ozeandampfer, den anzuhalten auch im Angesicht eines Eisbergs fast unmöglich ist. »Too big to fail« in den Augen zu vieler Entscheidungsträger, wurden die Folgen beharrlich ignoriert oder kleingeredet. Erst der nahende Kollaps des riesigen Staatskolosses namens Sowjetunion brachte das »Projekt des Jahrhunderts« zur Umkehrung der sibirischen Flüsse kurz vor dem Eisberg zum Stehen. Einstweilen aber wurde das Vorhaben auf dem XXV . Parteitag der KPdSU 1976 verabschiedet, allein schon, weil die Situation an Aralsee und Kaspischem Meer immer prekärer wurde und Missernten in der Großregion die Erträge empfindlich verringerten und Getreideimporte nötig machten. Zwar sollten zunächst weitere vorbereitende Prüfungen und Planungen vorgenommen werden, man beschloss aber die Umsetzung ab 1982 und über einen Zeitraum von fünf Jahrzehnten.

Der Widerstand wächst
    Jahrzehntelang hatte sich der geringe Widerstand gegen die Umweltzerstörungen im Gefolge der sowjetischen Megaprojekte staatlicherseits gut beherrschen lassen. Als sich aber abzuzeichnen begann, dass der südsibirische Baikalsee von hydrotechnischen Maßnahmen und Industrieansiedlungen massiv betroffen sein würde, wuchs der Unmut. Der Baikal, inzwischen UNESCO-Weltnaturerbe, ist der tiefste und mit über 30 Millionen Jahren älteste sowie an Wasservolumen größte See der Erde – er bedeckt eine Fläche von der Größe Belgiens. Er weist das reinste Wasser der Welt auf, verfügt über ein Fünftel der weltweiten Süßwasserreserven und ist ein einzigartiges Biotop mit zahlreichen Tierarten, die nirgendwo anders vorkommen. Wegen der zunehmenden Verschmutzung des Baikalsees und der Pläne für schadstoffreiche und wasserintensive Papier- und Zellulosefabriken entstand in der Sowjetunion erstmals so etwas wie eine Umweltbewegung, zu deren rühriger Symbolfigur der Schriftsteller Valentin Rasputin wurde. Im Fall des Baikalsees konnte der Bau der Fabriken zwar nicht verhindert werden, doch hatten die Umweltschützer ihre Muskeln weithin sichtbar spielen lassen. Zum Anlass für einen größeren Zulauf zu dieser Bewegung geriet schließlich die politische Erstarrung und wirtschaftliche Stagnation der von einer Kreml-Gerontokratie regierten Sowjetunion, die sich rückblickend betrachtet seit den Siebzigerjahren ihrem Zerfall entgegenschleppte.
    Größter Triumph der Umweltaktivisten aber war das Aus für das sibirische Flussprojekt, das bekämpft wurde, seitdem seine Umsetzung sich bedrohlich zu konkretisieren begann. Die Argumente waren mannigfaltig: Zunächst drohte angesichts der Schadstoffmengen, die die sowjetische Industrie in die Gewässer pumpte, im Norden eine zunehmende Schadstoffkonzentration, wenn weniger Wasser zum Verdünnen bereitstand. Die Feuchtgebiete im Norden würden bedroht, der Fischbestand der Flüsse dezimiert, Flora und Fauna nachhaltig geschädigt. Die Berechnungen hinsichtlich der Auswirkungen der geplanten Maßnahmen auf das Kaspische Meer wurden als schönfärberisch in Zweifel gezogen – und nicht zuletzt wurden Befürchtungen laut, gefährliche Klimaänderungen in der Polarregion stünden ins Haus. Andere Kritiker rechneten glaubhaft vor, derselbe Effekt, den die Projektbefürworter als Lösung für die sinkenden Wasserstände ins Feld führten, könnte bedeutend billiger erreicht werden, wenn für Bewässerungsmaßnahmen in der Sowjetunion jene Standards gelten würden, wie sie überall sonst auf der Welt bereits üblich waren. Denn die Wasserverschwendung der Bewässerungsanlagen und der heimischen Industrie war bekanntermaßen enorm. Und schließlich lag auf der Hand, dass die Maßnahmen zahllose Kulturdenkmäler im europäischen Teil Russlands zerstören, aber auch die Schönheit Sibiriens und seine Kultur in erheblichem Maße schädigen würden – von den

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