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Grandios gescheitert

Grandios gescheitert

Titel: Grandios gescheitert Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernd Ingmar Gutberlet
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anfänglich als Problem der gemäßigten Klimazonen galt, wurden seit Ende des Zweiten Weltkriegs und im Gefolge größerer Flüchtlings- und anderer Migrationsbewegungen sowie neuer Staatengründungen und erneuerter Kolonialpolitik die Polioviren auch darüber hinaus in tropische und subtropische Klimazonen verbreitet. Damit stellte die Kinderlähmung nun ein weltweites Problem dar, das letztlich auch nur als solches wirkungsvoll bekämpft werden konnte. Wegen der Begünstigung der Übertragung infolge des globalen Verkehrs wurde als wirkungsvollste Maßnahme die ebenso globale Ausrottung der Polioviren erkannt – ein überaus ehrgeiziges, weil logistisch und finanziell sehr aufwendiges Vorhaben. Doch um dieses in Angriff nehmen zu können, musste erst einmal ein Impfstoff gefunden werden, und nach dem suchten Forscher insbesondere in den USA unter Hochdruck.
    In der Zwischenzeit wurden die Behandlungsmethoden verbessert – insbesondere konnte mit der Entwicklung der »Eisernen Lunge« die hohe Sterblichkeit der Infektionskrankheit gemindert werden. Das Gerät diente der Behandlung von Poliomyelitis-Fällen, die mit der Lähmung des Zwerchfells einhergehen und damit das Atmen erschweren, wenn nicht unmöglich machen. Für die Patienten war die Eiserne Lunge zwar häufig lebensrettend, stellte aber gleichwohl eine klaustrophobische Erfahrung dar: Bis moderne Beatmungsgeräte entwickelt wurden, mussten sie – im Falle der Poliomyelitis waren es zu großen Teilen Kinder – in körperlange Röhren geschoben werden, aus denen nur der Kopf hinausschaute, und dort je nach Grad der Zwerchfelllähmung stundenweise oder tagelang ausharren. Die Röhren waren luftdicht verschlossen und erzeugten einen Unterdruck, der den Patienten passiv atmen ließ. Den Schrecken der Kinderlähmung verbreiten bis heute nicht nur Bilder mühsam humpelnder Kinder mit verkürzt-verkrüppelten Beinen, sondern auch Fotos von riesigen Krankenhaussälen mit reihenweise angeordneten, einschüchternden Apparaturen, in denen Kinder eingesperrt sind. Im Glücksfall sitzen Schwestern an ihrer Seite und lesen ihnen Geschichten vor – gleichwohl dürfte die Bekanntschaft mit einer Eisernen Lunge eine traumatische Erfahrung gewesen sein.

Die Jagd nach dem Erreger
    Vor nicht einmal anderthalb Jahrhunderten konnte der deutsche Mediziner Robert Koch den Nachweis erbringen, dass winzige Organismen als Erreger für die gefürchteten Massen­erkrankungen verantwortlich sind. Er entdeckte 1876 den Milzbranderreger und begründete die Wissenschaft der Bakteriologie, später isolierte Koch auch die Erreger von Tuberkulose und Cholera. In der Folge wurden viele weitere Krankheitserreger identifiziert, neben den Bakterien die kleineren Viren, für deren Entdeckung es der leistungsfähigeren Elektronenmikroskope bedurfte. Mit Robert Kochs Erkenntnissen begann die Suche nach wirksamen Gegenmitteln, zum einen von Impfstoffen, um einer Infektion vorzubeugen beziehungsweise ihren Verlauf zu minimieren, zum anderen von wirksamen Medikamenten, allen voran die Antibiotika. Auch dank der Entwicklung von Impfstoffen gegen Infektionskrankheiten stieg in Westeuropa zwischen 1880 und 1980 die durchschnittliche Lebenserwartung auf das Doppelte.
    Für die Entwicklung eines Impfstoffes gegen Poliomyelitis musste zunächst der Virus isoliert werden. 1908 entdeckten der österreichische Serologe Karl Landsteiner, der bereits das System der Blutgruppen erkannt hatte, und sein Kollege Erwin Popper das Poliovirus. Sie injizierten einem Affen Rückenmarksflüssigkeit eines an Poliomyelitis verstorbenen Kindes und wiesen Wickmans Vermutung nach, dass es sich um eine Infektionskrankheit handelte. Später erreichten sie die Konservierung der Polioviren. Bis zur Herstellung eines Polioimpfstoffes vergingen jedoch noch mehrere Jahrzehnte. 1948 gelang drei US-Epidemiologen – John Enders, Thomas Weller und Frederick Robbins, die einige Jahre später dafür den Medizin-Nobelpreis erhielten – der Nachweis, dass Polio­viren in lebenden Zellen gezüchtet werden können.
    Erste frühe Versuche zur Herstellung eines Impfserums in den Dreißigerjahren – tatkräftig unterstützt von US-Präsident Franklin Delano Roosevelt, der selbst mit Poliomyelitis diagnostiziert worden war – waren misslungen, aber 1954 wurde in den USA ein Impfstoff produziert und in einer klinischen Großstudie mit mehreren Hunderttausend Kindern getestet. Dieser erste Impfstoff, der intramuskulär verabreicht wurde,

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