Grandios gescheitert
romanischen Basse-Œuvre abgebrochen werden. 1517 war das nördliche Portal des Querhauses fertiggestellt, im Jahr darauf jedoch brach in Beauvais wieder einmal die gefürchtete Pest aus, an der auch Baumeister Martin Chambiges erkrankte. Der Architekt starb aber erst im Hochsommer 1532, man begrub ihn im noch unfertigen Querhaus. Nach Beendigung der beiden Portale war das Querhaus nunmehr im Aufbau begriffen. Auf einem Teppich aus dem Jahr 1530 sieht man aufgerichtete Querhaussäulen, aus denen Baukräne herausragen. Im Gewölbe der beiden Querhausarme kann man noch heute das Datum ihrer Fertigstellung lesen: 1537 für den nördlichen Teil, 1550 für den südlichen. Vom Langhaus, welches das Volumen des Baus ja noch verdoppeln sollte, wurde nicht mehr als ein erster Gewölbeabschnitt gebaut.
Was der Kirche außerdem fehlte, war ein Glockenturm. Weiterhin waren die Glocken in einem freistehenden Turm rechts vor dem Südportal untergebracht, der noch heute markiert ist. Das allein hätte das Bistum wohl verschmerzen können, aber da war noch immer die Sache mit dem Superlativ. Warum nicht das höchste Kirchendach der Christenheit mit dem höchsten Turm versehen? Nunmehr handelte es sich nicht nur um ein architektonisches Statement, das sich an die französischen Schwesterbistümer richtete, sondern zugleich ein Signal nach Rom, wo der Neubau des Petersdoms eindrucksvoll gen Himmel wuchs. Daneben konnte in den stürmischen Zeiten der Reformation – nunmehr erschütterte dieser Frontalangriff auf die katholische Kirche und ihren Universalanspruch in Sachen Glauben die gesamte Christenheit – ein stolzer Turm auf der katholischen Bischofskirche als kraftvolles Zeichen nach außen und willkommene Selbstversicherung zugleich dienen. Anderswo mochte der Bilderschmuck der Kirchen mutwillig zerstört werden, hier aber wurde weiter in die Höhe gebaut. Beauvais hatte außerdem das Problem so mancher Bischofsstadt: Sie lag in einer Senke, sodass ein Turm auf dem hohen Dach von weiter her den Bischofssitz markieren würde.
1534, als das Querhaus in der Fertigstellung begriffen war, spendete Bischof Charles de Villiers de l’Isle-Adam Geld zur Errichtung eines Glockenturms. Zunächst passierte jedoch nichts weiter, zumal er schon im nächsten Jahr starb und sein Nachfolger das Amt antrat. Seit Anfang des 16. Jahrhunderts wurden die Bischöfe nicht mehr gewählt, sondern vom König eingesetzt, oft waren sie vor Ort gar nicht präsent. Immerhin gingen die Turmbaupläne in den 1540er-Jahren weiter. Man überlegte, ob der Turm aus Holz errichtet werden sollte oder ob die Vierung, auf die er aufsitzen würde, eine Steinkonstruktion tragen könne. Weitere Jahre vergingen, bis man sich für Stein als Material entschied, Anfang der 1560er-Jahre ein Modell erstellte und mit dem Bau begann. Der kam nunmehr erstaunlich schnell voran, denn bereits Ende des Jahrzehnts war die Arbeit abgeschlossen, die Kathedrale besaß jetzt einen stattlichen Turm von knapp 90 Metern Höhe, der über der Vierung aufragte. Angeblich konnte man von oben, in einer Höhe von 135 Metern über dem Erdboden, bei gutem Wetter die Kirchturmspitzen des 90 Kilometer entfernten Paris erkennen. Zweifellos war Amiens zu sehen, dessen Vierungsturm knapp 113 Meter maß. Die Chronisten berichten, der Aufstieg nach oben sei so begehrt gewesen, dass das Domkapitel den Zugang schließlich einfach versperrte.
Der zweite Einsturz
Der Grund für diese Maßnahme war wohl, dass die Domherren das Gotteshaus nicht zum Aussichtspunkt degradiert sehen wollten – vor allem die einfachen Leute sollten nicht mehr nach oben klettern dürfen. Jedenfalls nennen die Chronisten als Grund für die Sperrung nicht die Angst um die Neugierigen, obwohl es bereits Bedenken wegen der Standfestigkeit des Turms gab. Man nahm vorsorglich das schwere Eisenkreuz von der Turmspitze und holte Gutachten ein, die aber nichts Gutes verhießen, denn der Turm schien auch ohne Kreuz für die Vierung der Kathedrale eine zu große Last. Die Stützpfeiler der Vierung neigten sich unterschiedlich stark, was daran lag, dass auf der Ostseite der Chor sich als Stütze erwies, ein solches Gegenlager im Westen aber fehlte, weil die Kathedrale ja weiterhin kein Langschiff besaß.
Die auswärtigen Experten schlugen Gegenmaßnahmen vor, aber keine zwei Wochen nach Beginn der Arbeiten, um den Turm zu retten, an Christi Himmelfahrt im Frühling 1573 um sieben Uhr in der Früh, trat die befürchtete Katastrophe ein:
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